Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
a bund, und mit solchen machten die Städter w en ig Federl e sens, wie die vollen Galgen und die zerfleischten Gerippe auf den Rädern mich mahnten, von denen Raben und Geier kreischend auffuhren, wenn ein Lebender wie ich sich na h te.
So traf ich auch die alte Larissa wieder. Sie hing in e i nem Käfig, ihre ausgestochenen oder von Vögeln ausg e hackten Augenhöhlen grinsten mich an. Aber kein Zweifel, es war die Schaustellerfamilie, die vor über einem Jahr u n seren Weg nach Norden so erfindungsreich und lustig b e gleitet hatte. Die Kleinen hingen als Traube gleich n e ben ihr, ein Strick um aller dünne Fersen hatte genügt, sie – Kopf nach unten – hochzuziehen. Von ihren Müttern, di e sen jungen Weibern, zeugten nur noch Reste längst ve r glimmter Scheiterhaufen, ein Knöchlein hier, ein Schädel da. Ihre Männer mocht ’ ich nicht heraussuchen unter den Reihen der Gehenkten. Ein kleiner Mundraub in der Not, ein fliegenum-schwirrter Kalbsfuß vielleicht oder gar ein Stück ofenwarmes Brot – schon war die let z te Vorstellung angebrochen, mit dem Spruch eines hartherzigen, hochm ü tigen Richters als Prolog und als stu m mem Epilog dem dumpfen Werkeln eines Henkers und seiner Gehilfen.
Ich kniete nieder und betete für ihre armen Seelen. R o bertos Kopf kam mir in den Sinn, wie er noch einmal aus den tosenden Wassern der Klamm aufgetaucht war, nac h dem seine Tat uns vor Vitus gerettet – Gott in seiner Güte hatte den wackeren Kettensprenger mit raschem Ertrinken vor solchem Ende in Schmach bewahrt. R e quiem aeternam dona eis, Domine, et lux perpetua luceat eis. Amen!
Die Überfahrt über den Po schenkte mir der Fährmann, als er einsah, daß ich die Fähre eher zum Kentern bringen würde mit meinem Angebot, die Überfahrt rudernd abzua r beiten. Ich erklomm die Gebirgskette des Apennin. Es re g nete viel, und ich fror erbärmlich. Immerhin fand ich hil f reiche Brüder, die mir im Namen des heiligen Franz mit einer Kutte aushalfen, nicht weil sie mich für einen der i h ren hielten, sondern weil mir die Fel lk leidung der Saratz mittlerweile in Fetzen vom Leibe hing. Ich vermied es tu n lichst, mich mit Ordenszugehörigkeit, oder gar meinem Namen zu erkennen zu geben, wußte ich doch nicht, ob die Kurie einen Preis auf meinen Kopf ausgesetzt hatte oder zumindest noch immer nach mir fahndete.
Ich stieg hinab in die Toscana, umging Florenz, wande r te durch das Tal des Arno, unter den Mauern von Arezzo vorbei, bis ich den Spiegel des Trasimenischen Sees bli n ken sah.
Ich war wieder in Cortona, der Stadt des Elia. Ein drittes Mal! All Ungemach hatte nun ein Ende. Gersende – so hieß, wie ich mich entsann, die tüchtige Haushälterin – würde sich meines leiblichen Wohls annehmen, und so l cherart gestärkt, könnte ich dem General unter die Augen treten, der sich nicht schlecht wundern würde, wenn er meine Geschichte hörte. Mit dieser Aussicht beschleunigte ich meine Schritte, trabte den sich windenden To r weg hoch zum Palazzo über der Stadt, wunderte mich nur flüchtig, keine Torwache vorzufinden, betrat den Bur g hof …
Zerschlagenes Mobiliar lag herum, Spuren von Brand und Kampf. Ehe Erschrecken meine Neugier ablösen kon n te – mir schwante plötzlich nichts Gutes –, kamen päpstl i che Soldaten aus dem Portal geschlendert. Ich wollte mich rasch verstecken, doch sie ergriffen mich und schleppten mich in das Haus. Sie schoben und zer r ten ihre Beute durch mir wohlbekannte Gänge, und so stand ich plötzlich im Arbeitsraum des Elia vor einem finsteren Mann, den ich noch nie von Angesicht zu A n gesicht gesehen, doch ich wußte gleich: Es war Vitus von Viterbo!
Er saß hinter dem Schreibtisch des Generals, und über ihm hing – das war das einzige, was ich spaßig finden konnte an der Situation –, gerahmt sein eigenes Portrait. Beide starrten mich an wie zwei alte Schafsböcke, denen spät noch die Gnade der Vision zuteil wurde.
Auch Vitus hatte keinen Zweifel, mit wem er es zu tun hatte. Sein Staunen bezog sich wohl darauf, daß seine G e bete – ode r w ahrscheinlich eher seine Flüche – plöt z lich erhört worden waren. Es ließ mir jedenfalls Zeit für den Gedankenblitz, daß er mich nicht gesucht, sondern ich ihn endlich gefunden hatte!
So faßte ich meinen Mut zusammen und begrüßte ihn keck: »William von Roebruk vom Orden der Minderen Brüder zu Euren Diensten, edler Vitus von Viterbo! Womit kann ich Euer Gnaden dienen?«
Kaum hatte ich es ausgesprochen,
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