Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
schwer und sind die Klingen relativ kurz. Si e ben Fingerbreit reichen für jedes Herz!« scherzte der alte Ha u degen. »Du mußt sie an der Schneide packen«, wan d te er sich an Yeza, »und aus der gleichen Bewegung heraus auch schon fliegen lassen …«
Ein weiteres Messer sauste neben Roç ’ Ohr, so dicht, daß er die Kühle des Stahls fühlen konnte.
»Am besten, du trägst ihn hinter der Schulter in der K a puze oder im Haar verborgen. Da kommt keiner drauf, und dein Griff nach ihm ist völlig unverfänglich.«
Als ob er sich am Kopf kratzen wollte, hatte Guiscard ein drittes Messer aus seinem Kragen gezogen, und schon steckte es zitternd auf der anderen Seite des Jungen im Mast.
»Jetzt will ich!« schrie Yeza, balancierte ihren Dolch, die Spitze nach vorn, auf ihrem blonden Lockenkopf, alle waren still geworden. Sie griff mit geschlossenen Augen langsam nach der Spitze und schleuderte wütend mit der ganzen Kraft ihres kleinen Körpers die Waffe Richtung Mast. Sie stak genau da, wo Roç ’ Herz sich befunden hätte, wenn er sich nicht – in letzter Sekunde – auf einen Wink Guiscards hin hätte hinabrutschen lassen.
»Mädchen und Messer!« seufzte er, die Augen verdr e hend, während Yeza mit Tränen des Zorns kämpfte.
»Ich kann auch mit geschlossenen Augen zielen!« e r klärte Roç und nahm Bogen und Köcher wieder auf, was mich nötigte, nun einzugreifen.
»Wie wär ’ s«, sagte ich lächelnd, »ihr würdet erst mal ohne lebende Scheibe treffen lernen?«
»Falsch«, knurrte Guiscard, »Ziel muß leben!« Er zog eine Goldmünze aus der Tasche und schlug sie mit bloßer Faust in das Holz, daß sie haften blieb. »Wer sie zuerst trifft, ohne daß sie herunterfällt! – der darf sie behalten.« Die Kinder juchzten und nahmen wieder Aufstellung. Ich kehrte zu Laurence zurück.
Sie war eingeschlafen, deuchte mich. Doch als ich mich wieder auf Zehenspitzen entfernen wollte, schlug sie die Augen auf.
»William«, eröffnete sie mir mit Bestimmtheit, »ich e r nenne dich zum ersten Schiffskaplan auf diesen Planken. Mir ist nach einer wohligen Beichte zumute!«
Ich hockte mich zu ihren Füßen, um ganz Ohr zu sein. »Nein«, verwies sie mich, »ich will knien, und du setzt dich hierhin.« Und so geschah es auch, sie war die He r rin.
»Ich durfte mein Schiff behalten«, fuhr sie fort, »und meiner Mannschaft wurde kein Haar gekrümmt, wen n gleich die Soldaten des Admirals gar sehr nach meinen Mädchen gierten. Ich segelte unbehelligt von dannen und machte mir eigentlich erst jetzt Gedanken, wie ich mit meinem geschenkten Leben und der eingegangenen Eh e verpflichtung – denn mein Wort hatte ich gegeben – umg e hen wollte –«
»Ein Priester hätte Euch von diesem Verlöbnis –«, warf ich ein, doch sie fuhr mir über den Mund:
»Laß deine bigotte Kirche aus dem Spiel, William! Der Pakt zwischen Enrico und mir hatte nicht nach ihrem Segen gefragt, noch bedurfte er ihrer Lösung – die kon n te nur in der Hölle vollzogen werden.«
Ich bekreuzigte mich schnell, was sie geflissentlich übersah.
»Zwischen Teufeln und Räubern gibt es genügend Ehr ’ ! Ich nahm Kurs auf Konstantinopel. Meinen Mädchen war nicht wohl bei dem Gedanken …«
Laurence schaute versonnen übers Meer, schließlich fuhren wir wieder gen jenes Byzanz ihrer Erinnerungen.
»Wir hatten die Stadt, das Bordell am Hafen, das unser Haushalt war – es ist über zwanzig Jahre her, doch d a mals waren gerade erst fünf verstrichen – unter widrigen U m ständen überstürzt verlassen müssen. Einige hatten inzw i schen, obgleich sie bei mir blieben, geheiratet und Kinder bekommen und wollten nicht mehr mit ihrer Ve r gangenheit konfrontiert werden – oder ihnen steckte noch schlicht die Angst in den Knochen; denn gestäupt und gebrandmarkt wird man ungern zweimal. Ich sagte: ›Kinder, schöner seid ihr nicht geworden; für den Skl a venmarkt seid ihr zu alt, keiner wird euch erkennen, vor allem wenn ihr wieder eure alte Nonnentracht aus den Kisten holt, nicht flucht und spuckt und es nicht auf off e nem Deck wie Huren treibt!‹ Und so legten wir an den Landungsbrücken bei der Ei n fahrt zum Goldenen Horn an.
Ich begab mich sogleich zu einem alten Bekannten, Olim, dem Oberhenker, der oft in brenzligen Situationen seine Hand – gegen Überlassung von ein paar hübschen Knaben, versteht sich – über uns gehalten hatte oder, wenn es sich nicht vermeiden ließ, sein Brandeisen nur kurz a n setzte, an Stellen,
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