Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
gewachsen, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Der Mönch stolperte mit verbundenen A u gen über die durch die Wanten ragenden Ruderhölzer.
Crean gab auf. Roç und Yeza waren keine hilflosen Kleinkinder mehr, für die eine Amme – und sei es in G e stalt eines dicken Franziskaners – die wichtigste Bezug s person war. Sie waren nun so weit, daß man aufhören sol l te, an ihrem Schicksal zu ziehen und zu zerren. War ihnen Großes bestimmt, würde Gott sie dorthin führen.
»Betet für sie«, sagte er unvermittelt zur unschlüssigen Clarion und den sie umringenden Nonnen, die mit frage n den Blicken zu ihm aufschauten. Brüsk wandte er sich ab und verließ erhobenen Hauptes die Triëre.
Insha ’ allah! Die Zeit war noch nicht gekommen, daß er, Crean, über die Geschicke der Kinder bestimmen sollte, obgleich für ihn außer Frage stand, was für sie das Beste war: Es mußte endlich ein Schlußstrich gezogen werden unter alle Fälschungen und falschen Mönche!
Crean sah sich unter den Schiffen des Hafens um. Sein Blick entdeckte bald den ägyptischen Handelssegler, der freimütig die grüne Fahne des Propheten zeigte. Seine Ei g ner, zwei arabische Kaufleute, hockten beim Tee. Schwe i gend setzte sich Crean zu ihnen und nippte an dem heißen Getränk. Der Geruch von frischer Minze stieg ihm ang e nehm erregend in die Nase.
»As-salamu ’ alaina.«
»Wa ’ ala ’ ibadillahis-salihim.«
»Es ist Allahs Wille«, sagte Crean bedächtig, »daß es bei dem bleibt, was mit der Schnur gesagt worden ist.« Die beiden nickten kaum merklich. Crean wartete eine ang e messene Zeit, dann fuhr er fort: »Ich brauche ein Schiff, um dringend heimzureisen, ich möchte Euch bitten, mir Euer Schiff zu überlassen.«
Der ältere Moslem, mit elegant gestutztem Backenbart, goß Crean aus der Kupferkanne vom Tee nach. »Verfüge über dein Schiff.« Nach kurzem Blick des Einverständni s ses mit dem Jüngeren fügte er noch hinzu: »Laß uns wi s sen, was du an Proviant und Geschenken begehrst, damit wir alles an Bord schaffen lassen, während wir Herberge an Land nehmen.«
»Ich hoffe«, sagte Crean, »daß mein Wunsch sich nicht nachteilig auswirkt oder gar störend auf Euer Tun und Handeln.«
»Allah karim. Das liegt in Allahs Hand! Nur er kann der unsri-gen in den Arm fallen, Ihr nicht, werter Herr!«
Die beiden Muslime erhoben sich und verneigten sich tief vor Crean, bevor sie in die Hände klatschten, um ihre Sklaven zur Arbeit zu rufen.
XI
IM L ABYRINTH DES KALLISTOS
Der Pavillon menschlicher Irrungen
Konstantinopel, Kallistos-Palast, Sommer 1247 (Chr o nik)
»Wollen die Herrschaften mir bitte folgen?«
Der Glatzkopf mit der seine Stirn so auffällig verlä n gernden Nase war in Begleitung Clarions oben auf das R u derdeck der lancelotti getreten, und seine höfliche Auffo r derung galt wohl mir und den Kindern. Ich sah ihn erst, als ich mich, erschöpft vom Spiel, von der Auge n binde befreit hatte.
Clarion nickte mir zu. »Yarzinth wird Euch ungesehen in den Bischofspalast bringen, vertraut ihm!« instruierte sie mehr Roç und Yeza als mich, der ich eh zu folgen hatte. Hätte sie es nicht ausdrücklich gesagt, wäre mir dieser Yarzinth ziemlich suspekt erschienen. In seinem bartl o sen, flächigen Gesicht schwammen die Augen so starr und flach – Fischaugen! Doch es war wohl vor allem das völlige Fe h len von Augenbrauen, das den langen Kopf so unangenehm auf mich wirken ließ.
Die Kinder turnten schnell durch das Gestänge hinauf nach achtern, kaum daß ich ihnen folgen konnte. Clarion umarmte sie, ihre psalmodierenden Nonnen winkten i h nen verstohlen zu, sie hatten alle Yeza und Roç ins Herz g e schlossen.
Wir verließen die Triëre, und Yarzinth steuerte auf ein verlottertes Lagerhaus zu, das sich dem Kai gegenüber auf Stelzen erhob. Im von Abfall übersäten Hinterhof flohen etliche Ratten bei unserem Kommen und wiesen uns den Einstieg in die ungastliche Kanalisation.
Weder Yeza noch Roç schauderten zurück, nur ich hielt mir die Nase zu und fürchtete um meine nackten Zehen in den Sandalen. Yarzinth kletterte vorweg und reichte den Kindern die Hand, bis sie Halt in dem schlammigen U n tergrund gefunden hatten. Roç hielt Pfeil und Bogen bereit, Yeza umklammerte ihren Dolch, doch die Ratten griffen uns nicht an, sondern entschwanden quiekend in der Tiefe der Kloake, deren gurgelnder Fluß im gemaue r ten Bett zu unseren Füßen dem Meer entgegeneilte. Nachdem wir uns schweigend etwa
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