Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
aussprechen dürfen – aber nichts bewegte mich mehr, als hinter sein Geheimnis zu gelangen. Ich kauerte nun schon eine Ewigkeit, zumindest die lange Nacht in der Hü t te der Alten. Loba war nicht das verhutzelte Kräuterwei b chen, das ich mir vorgestellt hatte, noch eine zahnlose H e xe; auch wies ihre Behausung keine der I n gredienzen auf wie Foeti von Lurchen in verschlossenen Gläsern oder Giftnattern und anderes Getier, nicht mal eine Kristallkugel warf schimmernd magisches Licht und erhellte meine Z u kunft. Die ›Wölfin‹ trug ihren Namen wohl ob ihrer mu s kulösen Erscheinung, ihres scharfg e schnittenen Profils, das allerdings ihr Gebiß – ich konnte keine Zahnlücke entd e cken – in bedrohlicher Form he r vorhob. Mit Schaudern stellte ich mir vor, wie sie ihre Zähne in den Hals eines Zickleins schlagen mochte oder den Kopf eines Huhns mit einem Biß abtrennte. Es waren vor allem aber ihre Bew e gungen, die ihr diesen raubtierhaften Anstrich gaben, lauernd, gleitend und dann plötzlich zuschlagend! So hatte sie auch mich gebannt, kaum daß ich in diesem steinernen Alkoven Platz genommen hatte. Mit wenigen raschen Schnitten legte sie meine Seele bloß, sezierte meine Hof f nungen und Ängste, biß in meinen Schutzschild von T u gend und Moral, spuckte meinen Glauben aus, wie die Schalen eines Kru s tentiers. Ich lag mehr, als daß ich saß, zurückgelehnt, meinen Kopf in den kühlen Stein gepreßt und verfolgte willenlos ihr Tun.
Loba schwieg und ließ mich im eigenen Saft schmoren. Nur gelegentlich nahm sie ein paar grüne Blätter, frisch gebrochene Zweige und schob sie bedächtig in die Fla m men, daß es knisterte und knackte. Der Geruch belebte mein Gehirn und machte me in e geheimsten Gedanken kre i sen, immer schneller; mein Kopf drohte zu platzen; sie drängten mit aller Gewalt nach außen – die Felsmulde hielt die Schädeldecke schützend zusammen, wie eine unsic h tbare Hand! Schweiß lief über mein Gesicht. In einem Ke s selchen brodelte ein Sud aus Krä u tern, deren erdig-muffiger Dunst mich beruhigte, mich betäubte, mein Au f bege h ren verdampfen ließ und nur meine Lügen vor mir ausbre i tete, wie weiße Knöchlein einer Kröte.
Kein Wort war zwischen uns gefallen, kein einziges. Loba hatte mich nichts gefragt, und ich hatte keinen Satz über die Lippen gebracht, bis jetzt zu diesem einen, der mich bewegte, und als er gesagt war, wußte ich, daß ich der Antwort nicht, ja, keiner Antwort würdig war. Mich frö s telte.
Hufschlag heranpreschender Pferde im Wald, Unruhe, gedämpft erregte Stimmen der vor der Hütte lagernden fa i dits, Waffengeklirr, die Tür wird aufgerissen: zwei Gesta l ten in verdreckten weißen Umhängen drängen in den Raum.
»Les enfants du mont!«
Sie halten zwei Bündel hoch, wie Trophäen.
Die Alte hat sich erhoben, steht vor ihrem glimmenden Herdfeuer – eine heidnische Priesterin vor ihrem Altar.
Loba reckt ihren Druidenstab. »Salvaz!« flüstert sie vo l ler Ehrfurcht, Erleichterung schwingt mit.
Da entdecken die beiden Ritter mich, einen Franzisk a nermönch, das hölzerne Christenkreuz auf der Brust … »Verrat!« zischt der Jüngere, sein Schwert blitzt auf.
»Salvaz!« Loba, die Wölfin, wirft mit einer raschen B e wegung eine Handvoll Pulver ins Feuer – es prasselt fu n kenstiebend auf, eine dicke weiße Rauchwolke wallt e m por, trennt mich von meinem Angreifer. Durch den w a bernden Nebel erfasse ich noch, daß der Ältere sich ei n mischt, den Stoß abdrängt, Feuersterne schwirren durch milchige Schwaden. Mein Kopf klingt wie eine dröhne n de Glocke – weit wirft mich der Schlag zurück …
Der Frühling zieht mit lauer Luft ins Land, was viele erst jetzt, mit befreiten Sinnen wahrnehmen. Friede kehrt in die Herzen, sanftes Licht …
Ich wurde aus meinem langen Traum gerissen; gerade als er so schön wurde, erwachte ich aus meiner Ohnmacht: Man hatte mich vor die Hütte getragen, ich lag gefesselt, mein Kopf schmerzte und war verbunden. Es war immer noch stockfinstere Nacht, und über mir stand Gavin Mon t bard de Bethune.
»Habe ich dir nicht gesagt, Bruder William, ein Lamm aus der Herde des heiligen Franz sollte nicht des Nachts im dunklen Wald in der Höhle einer Wölfin herumschnu p pern? Aus den Fängen des Falken, aus den Pra n ken des Bären konnte ich dich grad ’ noch retten!« grinste mein seltsamer Lehrmeister im Rock der Templer, und er wies auf die beiden Ritter, welche mich keines Blickes würdi g
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