Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
ausgestopft und über dem einsamen Grab in der Steppe aufgehängt samt Sattel und Zaumzeug. Sein Wagen wird zerbrochen, seine Jurte niedergerissen, und seinen Namen darf ni e mand mehr in den Mund nehmen. Sie graben eine Grube und legen den Lieblingssklaven des Verstorbenen unter den Leichnam und lassen ihn so lange darunter liegen, bis er nahe daran ist, seinen Geist auszuhauchen. Gerade bevor er erstickt, ziehen sie ihn heraus und lassen ihn ein wenig Atem holen. Das wird dreimal wiederholt, und wenn er dann glücklich mit dem Leben davongekommen ist, wird er zum freien Mann erklärt und genießt bei allen Verwandten des Toten hohes Ansehen. Die Grube aber verschließen sie so, daß – wenn einmal das Pferd verro t tet ist – keiner das Grab mehr finden kann.‹«
»Und warum muß das arme Pferd sterben?« fragte Roç eingeschüchtert.
»Damit der Mongole auch im Jenseits sein Liebstes bei sich hat!«
»Und seine Frau?« hakte Yeza nach.
»Willst du dich ausstopfen lassen?« spöttelte Hamo, der keine Lust verspürte, länger zu bleiben. Er klopfte an die Eisentür und wurde aus unserem ›Verlies‹ gelassen.
Benedikt erhob sich. »Schluß für heute!« sagte er. »Den Rest schaffen wir morgen mit frischem Mut – Pian wird stolz auf uns sein!«
»Auf sich!« feixte ich.
»Auf dich, William von Roebruk!« Er hob seinen Pokal, trank ihn mit einem Zug aus und wandte sich zum Gang.
»Warte!« schrie Yeza erregt und rannte an ihm vorbei und sauste wie eine Maus in Richtung Loch.
»Tu das nicht, Yeza!« gellte jetzt die Stimme von Roç. »William, halte sie!«
Ich sprang auf und stolperte hinter ihr her. »Yeza!« rief auch ich, doch sie entwischte mir und verschwand in dem sich verengenden Einlaß in der Mauer.
»Yeza!« Roç witschte mir durch die Beine und erreichte das Loch vor mir, doch seine Panik ließ mich mit voller Wucht folgen, und schon saß ich fest. Meine Füße berüh r ten kaum noch den Boden, mein dicker Körper war einge k lemmt, und vor meinen Augen – ich konnte den Kopf nicht drehen – dehnte sich das Dunkel des Ganges, aus dem ein letztes verzweifeltes »Yeza!« mir entgege n wehte, sich als vielfaches Echo wiederholte und dann zur Totenstille ve r ebbte.
Was war nur in die Kinder gefahren? Ich versuchte ve r ärgert mich zurückzuschieben, da stach etwas in meinen Schenkel. Autsch! Ich drückte meinen Brustkorb nach hi n ten, da pieksten mich Messer in die Arme und in die Hü f ten.
»Jachwei, helft mir doch!« rief ich in den dunklen Gang, und ich fühlte daß Hände von hinten an mir zerrten, doch gleichzeitig bohrten sich wieder die Spitzen in meine Fla n ken. »Laßt mich los!« keuchte ich. »Ihr bringt mich um!«
»Willst du da die Nacht verbringen und mir den Weg versperren!« scherzte Benedikt in meinem Rücken.
»Ihr müßt – einer oben, einer unten – mit euren Händen rechts und links von mir die verdammten Klingen flach an die Wand drücken, nach vorne – und mich dann herauszi e hen!«
»Wie viele Spickeisen sind dir denn ins Pökelfleisch g e raten?« spottete Lorenz, dessen Hand sich an meiner Hüfte vorbeitastete.
»Mindestens drei auf jeder Seite!« brüllte ich unter Schmerzen.
»Wir haben nur vier Hände!« resignierte Benedikt. »Wir müssen Hilfe holen!«
Ich fühlte mich schon wie ein geschächtetes Schwein langsam verbluten, auch machte sich eine gewisse Plat z angst bemerkbar. Ich war hilflos, hinten konnte man mir den Arsch kreuzweise versohlen, vorne den Kopf abha c ken – da rasselten die Schlüssel in der Tür, und die Stimme Yarzinths, der erstaunlich schnell vom Pavillon zurückg e kehrt war, sagte:
»Ich hab ihm doch gesagt, daß ›der letzte Gang‹ nicht für ihn erdacht war. Nun müssen wir ihn entkorken! Wi l liam, unser Proppen – als Geist aus der Flasche!«
Alsbald faßten mehrere Hände gleichzeitig zu, und ruckweise wurde ich wieder in den Keller befördert. Meine Kutte, Hemd und Unterhose waren gar arg zerfetzt, und ich blutete wie schlecht balbiert. Und meine Brüder samt dem Koch lachten auch noch über mich.
»Versteh ’ einer«, beklagte sich Yarzinth, »was in den Köpfen dieser Kinder vorgeht. Fast hätten sie Clarion e r schossen und erdolcht, die im Pavillon auf sie wartete, um sie zu Bett zu bringen. Die Gute lauschte durch das runde Loch auf ihr Kommen, als plötzlich Pfeil und Dolch haa r scharf an ihr vorbeizischten. Sie kreischte gleich los: ›Laßt den Unsinn!‹, aber die Kinder schrien aus dem Labyrinth:
Weitere Kostenlose Bücher