Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
stopfen konnte.
Der Pole war so klug, auch Roç zu bedenken, dem er die kostbare Ringerjacke mit dem Drachen vermachte und den metallbeschlagenen Kampfgürtel, der in der Mitte so breit war wie eine Hand und das Swastika-Symbol aus Malach i ten in Silber gefaßt aufwies. Die Schultern waren hochge s tellt gefüttert, und Roç wirkte plötzlich sehr g e fährlich, wenn er seinen Köcher überwarf und den Bogen spannte.
Sie waren beide stolz und ein wunderhübsches Paar voll kindlicher Würde. Meine kleinen Könige! Doch sie acht e te n n icht auf meine Bewunderung, Benedikt hatte jetzt ihre Herzen erobert.
»So, Kinder, jetzt gebt Ruhe, wir müssen arbeiten!« mahnte uns Lorenz, der mir als einziger in den Sinn und Zweck unseres Tuns eingeweiht schien und uns – bei allem Sinn für Spaße – pausenlos antrieb.
Doch gerade jetzt trat Yarzinth schlüsselrasselnd ein und brachte unser Abendessen: »Auf daß die Herren Dichter nicht vom Fleische fallen!«
Stolz präsentierte er, begleitet von zwei Pagen, in Ol i venöl und Pepperoni eingelegten Aal, von Weinessig durchzogenen süßen Kürbis, gebackene Eierfrüchte mit pikant gerösteter Entenleber, gedünstete Artischocken mit Miesmuscheln gesotten, das alles nur als Vorspeise. Er le g te formvollendet jedem einzelnen von uns vor; mir blieb wenig Zeit, mich zu kränken, daß er Benedikt mit besond e rer Aufmerksamkeit und reichlicher bediente als mich oder Lorenz, denn wir stürzten uns alle wie die Tataren mit Heißhunger auf die Platten. Dazu kredenzte er aus schla n ker Amphore einen spritzigen Weißen aus Kr e ta, und als wir unsere Schüsselchen leergeputzt hatten, als seien wir mit Kälberzungen drüber weggestrichen und uns die Finger ableckten, da hob er den Silberdeckel von der größten Schale: Duftschleier eines gebratenen K a pauns umwehten meine Nase. Er lag auf einem bunten Bett von purpurner Beltrave, korallenfarbigen Mohren, dem zarten Grün der Bohne und dem dunklen des Blattspinats, versetzt mit schimmernden Perlen von jungen Zwiebeln und dem E l fenbein der Knoblauchzehen.
Yarzinth tranchierte mit einem Scimitar, einem Dama s zener Krummsäbel, der am Ende nicht spitz, sondern als Dreizack verlief – eine Waffe, schwer und scharf genug, einen Ochsen lebend zu enthaupten. Er handhabte sie mit Leichtigkeit, und die Klinge schnitt das Fleisch wie Bu t ter.
Wie um seine Kunstfertigkeit zu unterstreichen, ließ er sic h j etzt von einem der Pagen eine bauchige Korbfl a sche halten, deren tönerner Hals noch versiegelt war. Mit einem Hieb köpfte er sie so sauber, daß kein Tonsplitter stäubte. Er bestand darauf, daß wir die Pokale wechselten und se r vierte uns.
»Grusinischer Rotwein! – wie ihn auch Euer Großkhan nicht aufgetischt bekommt«, schnalzte der Koch mit se i ner langen Zunge.
»Der trinkt Kumys«, sagte Benedikt.
»Kuhmist?« fragte Roç ungläubig.
»Das ist gegorene Stutenmilch, mit Blut vermischt!«
»Menschenblut?« Roç war entsetzt, aber alle lachten nur und tranken.
»Die Kinder sollten jetzt zu Bett«, rückte Yarzinth vo r sichtig heraus, »heute nacht können sie wieder im Pavi l lon schlafen –« , und als sich Protestgeheul erhob, setzte er freundlich hinzu: »Benedikt darf heute – so er mit der A r beit fertig ist – bei euch schlafen. Ich geh schon vo r aus, alles vorzubereiten. Ihr kennt ja den Weg.«
Das war an Benedikt gerichtet, Yarzinths spitzes Kinn wies auf das Loch in der Wand, den Einstieg zum ›Fluch t gang‹, den die Kinder immer benutzten, auf allen vieren zu uns in den Keller. ›Wir sind die Mäuse‹, sang Yeza jede s mal – wohl um sich Mut zu machen – und damit ihr Ko m men ankündigend –, und aufrecht ›wie ein Huhn‹ ging es zurück zum Pavillon.
Yarzinth fiel es gar nicht auf, daß seine Offerte, den neuen Freund als Schlafgast zu haben, statt zu erwartender Begeisterung bei den Kindern Beklemmung hervorrief. Sie schauten sich vielsagend an und warfen dem Koch, der nicht länger wartete, böse Blicke nach. Ich war im Inner s ten meines Herzens froh, daß der Pole wohl doch nicht die Freundschaft der Kinder mit seinen Geschenken erkauft hatte. Bei mir hatten sie immer gern geschlafen!
»Weiter!« sagte Lorenz. »Morgen müssen wir fertig sein.«
»›Wenn einer ihrer Führer stirbt, dann wird sein Lie b lingspferd getötet, das Fleisch zur Leichenfeier ve r zehrt‹«, erzählte der griesgrämige Benedikt, »›die Frauen verbre n nen die Knochen, und das Fell wird
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