Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
›Tod dem Henker, Tod dem Henker!‹ Ich hab ’ mich durch eine andere Tür verdrückt. Ich versteh ’ mich nicht auf e r zieherische Maßnahmen – schon gar nicht bei Kindern.«
»Das kommt davon, William«, rügte mich Benedikt sanft, »weil du sie immer hier zuhören läßt. Da kommen sie auf so blutrünstige Gedanken – ihre kleinen Gemüter sind verwirrt!«
»Absurd!« sagte Lorenz. »Laßt uns morgen früh we i termachen!«
»Ich schlafe hier«, erklärte Benedikt, und Yarzinth wünschte uns eine gute Nacht.
Der Sträfling des Legaten
Konstantinopel, Herbst 1247
Gegen Mittag des folgenden Tages schlich sich der päpstl i che Segler vom Schwarzmeer kommend die Fla n ken des Bosporus entlang. Es wehte kein Wind, der Himmel war grau, und über den Wassern lag Nebel. Die Segel hi n gen naß und schlaff, und die Ruderer waren ob der langen Se e reise erschöpft. Langsam treibend tastete sich die Dre i mastbark gen Südwest, wo irgendwann die Einfahrt zum Goldenen Horn sich öffnen mußte.
Anselm von Longjumeau, der feinsinnige und ehrgeizige Dominikaner, der es seiner Jugend – und seinem berüh m ten älteren Bruder zum Trotz – zum päpstlichen Legaten gebracht hatte, kauerte auf einer Taurolle am Bug des Schiffes und starrte fröstelnd in die milchige Suppe. Er wollte niemanden sehen und eigentlich auch nie in Kon s tantinopel ankommen. Er war unzufrieden mit sich. Se i ne Missionsreise zu Baitschu, dem am weitesten vorgesch o benen Statthalter der Mongolen, war ein Fehlschlag gew e sen, den er sich allein zuzuschreiben hatte. Er brac h te kein Schreiben des widerlichen Tataren-Feldherrn mit, sondern nur zwei geschwätzige Nestorianer, die der Kurie vers i chern wollten, daß auch sie glä u bige Christen seien – von einer Anerkenntnis des Papstes war nicht die Rede. Bai t schu erwartete vielmehr, daß sie den Führer der Christe n heit zum Kotau in seinen Palast brächten, und diese verlo t terten Priester hatten sich – aus Furcht um ihre schäbige Kragen – gehütet, diesem Ansinnen zu widersprechen.
Baitschu war eben nur der Statthalter in Persien und nicht der Großkhan. Der Kerl hatte weder Zuständigkeit noch Großmut bewiesen. Und er, Ascelin, war auch nicht über sich hinausgewachsen, er hatte nicht darauf bestanden, nach Karakorum weiterzureisen wie diese Franziskaner. Der Ruf der erfolgreichen Mission des Pian del Carpine war ihm von Täbriz bis Tiflis lästi g i n die Ohren geträ u felt – wahrscheinlich waren die Minoriten längst zum Heiligen Vater zurückgekehrt, und auf ihn und auf das Ergebnis se i ner qualvollen Bemühungen war niemand mehr erpicht.
»Wir sollten mit Vorsicht uns dem Hafen nähern«, räu s perte sich hinter ihm die Stimme des Vitus von Viterbo, »und sehen, was uns dort erwartet, bevor wir gesehen we r den, Fra Ascelin!«
Der Angesprochene fuhr herum wie von einer Tarantel gestochen. Niemand – nicht einmal Baitschu – hing ihm so zum Hals heraus, bereitete ihm Übelkeit, wenn er ihn nur sah, wie dieser Viterbese – und er hatte ihn die ganze Reise ertragen müssen!
»Uns erwartet niemand«, fauchte er gereizt, ohne sich umzudrehen, »außer den Phantasmen, denen Ihr nac h jagt!« Der Legat war aufgesprungen, brüllte aber seine Wut in die Nebelwand vor sich. »Habt Ihr immer noch nicht genug von Eurem Wahn? Vitus, Ihr seid von einem Dämon bese s sen! Nicht in Ketten sollte man Euch legen, sondern in eine Jacke ohne Ärmel und den Exorzisten rufen!«
Vitus von Viterbo hatte etliches von seiner büffeligen Statur verloren. Die schwarze Kutte schlotterte um seine hochgewachsene Gestalt; sie war speckig und er selbst u n gepflegt, sein Haar fiel strähnig aus der Kapuze. Nur seine Augen glühten noch wie vor Antritt seiner Strä f lingszeit.
»Wahnwitz ist, Ascelin, daß Ihr sehenden Auges in Euer Unglück rennt!« Vitus senkte seine Stimme verschwör e risch. »Ihr müßt nicht mit leeren Händen zurückkommen, Fra Ascelin! Ich schwöre Euch –«
»- daß die verdammten Kinder des Gral jetzt in Byzanz zu finden sind? Hinter diesem wabernden Dunst stehen sie winkend am Kai und warten auf uns! Wir brauchen nur zuzugreifen!«
Dem ätzenden Hohn des Legaten setzte Vitus sein Ge i fern entgegen: »Wo sonst kann die gräfliche Zicke auf den Schutz einer Hütte und Futtertrog für die Geißlein hoffen? Bei ihrem Neffen , dem Bischof, dem Päderasten. Und war sie nicht Patr o nin eines Hurenhauses, bestückt mit jungen Nonnen, ›die Äbtissin‹ – bis
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