Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
schlabbern. Yarzinth preßte eine gute Weile, dann begann mit leisem Knirschen das ringende Paar sich zu trennen, der Satyr verschwand im Innern einer Höhle, die sich in der Mauer auftat, während der holde Weingott weiter seine Amphore über die M u schel hielt.
Yarzinth ließ das gestaute Wasser mit einem Schwall fahren, beugte sich zu dem aufgerichteten Styx, zog ihn zu sich hoch und entschwand mit ihm im Dunkeln eines Ga n ges. Der Satyr schwang zurück in seine streitbare Position, und die Allee lag still da wie zuvor.
Kurz darauf verließ Yarzinth – von den Ställen ko m mend, ohne Hund – hoch zu Roß den Palast, nachdem er sich ordnungsgemäß bei den Torwachen abgemeldet ha t te. Sein Hufschlag hallte laut durch die Nacht. Die Uhr des Hephaistos zeigte mit dumpfem Klang die vierte Stunde des Phosphoros an. Den Nachthimmel über Asia Minor durchzuckte ein fernes Wetterleuchten, wohl weit im La n desinneren. Zu hören war es nicht.
Lorenz von Orta hatte gedacht, mit dem ihm aufge d rängten Galeran auf kürzestem Wege das Freudenhaus aufzus u chen, um die ihm vom Koch beschriebenen ›Assass i nen‹ zu finden und mittels seines Zeichenstifts zu fixi e ren. Doch kamen sie an drei noch ausschenkenden Weinstuben vo r bei, und jedesmal mußte er wenigstens einen Schluck aus dem Krug nehmen, den der Herr Bischof von Beirut a n sonsten alleine leerte.
Lorenz spürte schon bald die Wirkung und machte sich Sorgen um die Sicherheit seiner Hand und sein ungetrü b tes Augenmaß. Doch Galeran war ein Faß ohne Boden. Er ha t te Lorenz zwar versprochen, ihm bei seiner ›äußerst gefäh r lichen Mission, die ismaëlitischen Meuchelmörder zu en t larven‹, mit besten Kräften zu unterstützen, aber als sie den Hof betraten, schien Galeran längst ve r gessen zu haben, warum er Lorenz hierhin begleiten sol l te.
Der kleine Mönch hatte die beiden verdächtigen Priester sofort erspäht, und Galeran hatte es auch noch fertigge b racht, ihn als Maler einzuführen:
»Lorenz von Orta ist der größte lebende Künstler It a liens auf dem Gebiet des Portraitierens menschlicher An t litze! Erlaub t i hm, mit uns zu sitzen und seine Studien an e i nem so ausgefallenen Ort unbehelligt zu betreiben!«
Die beiden Nestorianer hatten geschmeichelt genickt, und damit es ihnen nicht auffiel, daß ihre Gesichter das Ziel der Skizzen war, beschrieb Galeran, der zwischen den beiden Platz genommen hatte, eifrig flüsternd die Nase n charakteristika der anderen Männer im Hof:
»Seht Ihr den Langnasigen, Blassen? Stellt Euch sein Pendant vor, das ungeduldig ihm unter dem Kaftan schwillt – oder dort, die Hakennase aus Georgien, sein feuerrotes Schwert wird ihm gleich das Beinklein ze r schneiden …«
Aibeg und Serkis lachten erheitert, während Lorenz ’ R ö telstift übers Pergament flog. Er nahm Maß aus den A u genwinkeln, doch ihre Blicke folgten in argloser Belust i gung den bildhaften Paraphrasen, die Galeran vor ihnen ausbreitete.
»Der Bulgare mit der Knollennase, wann wird ihm die Pluderhose platzen? Oder die beiden Rum-Seldschuken, diese Lastenträger aus Ikonion, kleine hungrige Adle r schnäbel, doch unterm Lendenschurz brüten sie gewalt i ge Eier …« Galeran schielte zu dem Mönch hinüber, der mit einem Nicken signalisierte, daß seine Arbeit erledigt sei. »Sie alle«, wandte sich Galeran aufmunternd an die beiden Nestorianer, »sie alle sind vor Euch dran, wesw e gen ich jetzt –«
»Ihr wißt nicht, was Ihr Euch entgehen laßt«, unterbrach ihn Aibeg freundlich. »Ihr seid unser Gast!« Lorenz hatte sich geschickt verdrückt, wie Galeran mit Schrecken fes t stellte.
»Verzicht ist Vermeiden des Möglichen, zur Tugend e r hoben!« lächelte Galeran zurück und unternahm schwa n kend den Versuch, auf die Füße zu kommen. »Mich zieht es zum Palast des Lateinischen Bischofs.«
»Und wo ist der zu finden?« fragte Serkis schnell, als er sah, daß der angeheiterte Würdenträger fest entschlossen war, sie zu verlassen.
»Über der Altstadt«, Galeran rülpste, »jedes Kind kennt ihn!« Mit kleinen tapsigen Schritten, auf seinen Stab g e stützt, verließ der Besucher aus der Terra Sancta den Hof. Die beiden Nestoria-ner grinsten sich verstohlen an und warteten darauf, daß er auf die Nase fiele. Doch Galeran erreichte wohlbehalten den Ausgang und entschwand aus ihrem Blickfeld.
Eine stattliche Frau, die gewiß soviel wog wie die be i den seltsamen Priester zusammen, winkte breitbeinig aus einer weit
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