Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
noch, wie mir erst keuchend der Atem, dann die Sinne schwanden …
Das Spiel des Asha
Konstantinopel, Kallistos-Palast, Herbst 1247
Lorenz von Orta war der einzige, der sich noch einen Blick bewahrt hatte für die schwarz-weißen Quadrate, auf denen das Spiel ausgetragen wurde. Gewiß, es tobte ein Tumult im Saal des ›Mittelpunkts der Welt‹, doch für den kleinen Minoriten, der von allen unbeachtet hinter einem Vorhang von der Bühne herab das Getümmel übersah, war es nichts anderes als das alte Spiel auf Erden, die ewige Auseina n dersetzung zwischen den Mächten des Lichts und der Fin s ternis. Mit flinken Augen erfaßte er die den Bete i ligten so verworrene Lage.
Zu seinen Füßen vorn links das Dreieck derer von O t ranto. Es reichte mit seiner Breitseite von der Mitte der Rä n ge bis zur Hälfte der Bühne. An der äußersten Spitze stand wie ein Turm Sigbert, der die Gräfin und Clarion mit sich gezogen hatte.
Die Franzosen, ursprünglich ihnen nachstehend vor den linken Rängen aufgereiht, waren undiszipliniert diagonal zur Bühne vorgeprescht, die nur noch auf der rechten Seite offen war. Sie zu erklimmen hatten sie nicht g e wagt.
Damit hatten sie auf der einen Flankenseite die Otranter, auf der anderen die Templer, die immer noch vor den vo r deren Rängen rechts wie eine Mauer verharrten. Ihr Pr ä zeptor, nur einen Schritt vorgetreten, schloß ihre Reihe zum Saal hin ab.
Die Päpstlichen versuchten, an den Templern vorbei, ebenfalls zur Bühne vorzustoßen, fanden aber den Weg von den schnell er en Franzosen versperrt. Auch fehlte ihnen ein Anführer im Felde, denn ihre Befehlshaber waren zurüc k geblieben und hatten sich um den Legaten geschart.
Das war die Lage, wie sie sich Lorenz darbot. Er warf noch einen Blick auf die vorderste Sitzreihe. Es saß ke i ner mehr, außer dem Bischof. Zu dessen Rechten die Vertreter der Kurie um Fra Ascelin, die sichtbar auf Abstand zu N i cola hielten; zu seiner Linken trippelte empört der Graf von Joinville, sekundiert von dem jungen G i sors; in seinem Rücken: Yves der Bretone. Die Stühle der Gräfin und ihrer Damen waren geräumt.
Dahinter die jeweiligen Bediensteten – und auf den Rängen wogte die Masse der sonstigen Gäste. Sie drängte, teils aus Neugier, nach vorn, immer wieder traten und schubsten welche ins Wasser, daß es aufspritzte; sie fi e len auch hin. Nur einige wenige versuchten furchtsam, den Ausgang zu erreichen. Der größte Teil hatte die St u fen der Ränge besetzt, disputierte lautstark oder tuschelnd in kle i nen Grüppchen. Einzelgänger sahen ihre Stunde geko m men; sie tanzten ekstatisch auf den Treppen, nachdem i h nen der Zugang zur Bühne verwehrt war, bemüht, mit Schreien und Geheul dennoch die Aufmer k samkeit auf sich zu ziehen.
Die Templer standen immer noch unerschütterlich wie eine Mauer. Ihre Langschwerter vor sich aufgepflanzt, b e trachteten sie stoisch das Gewühl, da von ihrem Pr ä zeptor kein Befehl kam. Gavin Montbard de Bethune hatte die Augen geschlossen, sein Kinn auf den Schwertknauf g e stützt.
Der höchst irritierte Gesandte Frankreichs ließ es zu, daß Yves auf einen Stuhl sprang und die Franzosen zurüc k rief. Dadurch wurden die Päpstlichen vollends zerstreut, und die von Otranto riegelten die Bühne nun restlos ab.
Da durch das Geschrei immer noch die geifernde Sti m me des 5imon von Saint-Quentin drang: »Faßt sie! Laßt sie nicht ent-komnen!«, zogen jetzt doch die falschen Domin i kaner um Vitus ihre unter den Kutten verborgenen Schwe r ter.
»Macht Platz dem Inquisitor!« donnerte der Viterbese und zerrte seine Bewacher zum Angriff auf die Bühne, w o rauf der ganze Saal aufschrie, jeder fürchtete, wenn nicht um sein Leben, doch zumindest die Inquisition! Die Gäste versuchten in Panik ien Ausgang zu erreichen.
»Keiner verläßt den Saal!« schrillte Simon.
Fra Ascelin bedrängte den Bischof. »Als Legat Seiner Heiligkeit verlange ich –«
Nicola hatte nichts mehr zu verlieren. »Solange ich Herr dieses Hauses –«
»Ihr seid abgesetzt!« schrie Simon dazwischen.
»Ich verlange Durchsuchung des Palastes!« schob Asc e lin ihn unwirsch zur Seite.
»Fühlt Euch wie zu Hause!« lachte der Bischof und ließ ihn stehen.
Sigbert stand mit gezücktem Schwert vor der Gräfin und Clarion, und alle machten einen großen Bogen um den h ü nenhaften Deutschritter, der das Kommando über die von Otranto übernommen hatte. Auf den Rängen gestik u lierten und sangen Priester und
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