Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
nächste wäre womöglich noch ren i tenter! Der Kaiser will eine Stockpuppe mit Tiara auf dem Stuhl Petri, aber keinen Unruhe stiftenden Märtyrer im Exil!«
»Und was will der Papst?«
Der Capoccio antwortete nicht. Anselm von Lungj u meau war im Treppenaufgang erschienen.
»Fra Ascelin!« rief der Kardinal leutselig und wohl auch befreit; er schätzte den Ehrgeiz, die Brillanz des jungen Dominikaners. »Kommt nur her und erteilt dem Herrn von Viterbo eine Lehre von viertelstündiger Dauer über den Interessenkonflikt zwischen Ecclesia und Imperium, nur zu!«
Er trat zurück an die Brüstung und nahm zwischen den Zi nn en Platz, während der Dominikaner sich übertrieben höflich vor Vitus verbeugte.
»Das Papsttum«, hub er an, »muß sich von der staufe r ischen Klammer befreien, die vom deutschen Norden her herandrängt und ihre Marken schon bis Tuskien und Spol e to vorgeschoben hat, während im Süden das Unkraut des normannischen Königreichs wuchert; sein Wildwuchs u m schlingt schon Gaeta.« Ascelin räusperte sich und beobac h tete Vitus, der die Rede wie ein Büffel mit gesenktem Haupt über sich ergehen ließ. »Wenn wir der Kirche ihren angestammten Besitzstand erhalten wollen, muß eine der beiden Klammern aufgebogen werden, am besten beide! Mit den Staufern wird ’ s keine Einigung geben; zu begeh r lich und erfolgreich haben sie schon die Früchte der Macht gekostet –«
»Also«, mischte sich der Kardinal ein; sein Blick wa n derte versonnen von Vitus und dessen Lehrmeister über Hafen und Meer, »wenn man einen Baum nicht stutzen kann, muß man ihm den Stamm kappen, bevor die Wu r zeln die Mauern des Kirchleins zerdrücken!«
»Angenommen, dies gelingt dem großen Gärtner«, suc h te Vitus sich einzuschmeicheln, »was geschieht dann im wild wachsenden Garten Europas?«
»Ein Pflänzchen nach Sizilien, vielleicht sogar ein zwe i tes nach Neapel, von uns gehegt und gepflegt«, lächelte Fra Ascelin, »eine undurchdringliche Hecke von freien Städten in der Lombardei, und jenseits der Alpen mag sich jeweils der unbändigste Stammessproß als König behaupten – will er Kaiserwürden, muß er sich, fein sit t sam beschnitten, mit einem Körbchen voll erlesener Früchte als donutn nach Rom bequemen, um sich vor der schönsten und größten aller Blumen zu verneigen –«
»Nie seh ich Friedrich in solcher Demutsgebärde«, wa g te Vitus einzuwerfen, doch ein grausamer Blick des Kard i nals ließ ihn gleich wieder verstummen.
»So werden ihm Katzen in die Wurzeln pissen!« Die Stimme des jungen Dominikaners war plötzlich schrill. »Läuse seine Triebe verätzen! Raupen und anderes Ung e ziefer werden seine Blätter fressen, die Vögel des Himmels werden seine Früchte zerhacken und wildes Getier seine Zweige brechen, und des Nachts –«
»– sägt Ihr an seinem Stamm?« spottete Vitus.
»Für derart Handgreifliches seid Ihr zuständig, Vitus von Vi-terbo«, beschied ihn kühl der Kardinal, der von der Mauer aus beide nicht aus den Augen gelassen hatte. »Doch ist die Stunde der Gerechtigkeit noch nicht geko m men.«
»Weswegen wir gezwungen sind«, fuhr Ascelin erregt fort, »das Symbol der Reinheit und himmlichen Güte, die römische Christrose samt ihrem Rosenhag, kurzfristig zu verpflanzen, in den sicheren Garten des frommen Ludwig –«
»Und nun sputet Euch«, unterbrach der Kardinal ung e duldig und verließ seinen Platz auf der Mauer, »und sorgt dafür, daß wir dies vollbringen können, ohne daß uns der Staufer –«
»Seine Streitmacht liegt ein weiteres Mal ohnmächtig vor unserem heldenmütigen Viterbo!« trumpfte Vitus auf.
»Nur, daß er es bisher verschonte«, seufzte der Kardinal, wohl mehr in Erkenntnis, daß aus Vitus nie ein brauchb a rer Stratege werden würde, denn aus Mitleid für beider Heima t stadt, »um die Verhandlungen nicht zu beeinträcht i gen.«
»Auf der gut gepflasterten Straße von Tarquinia könnte Friedrich schneller hiersein, als uns lieb ist. Das ist es, was ich eigentlich hatte melden wollen«, beendete der Domin i kaner seinen Diskurs, küßte den Ring des Kard i nals und zog sich mit einer leichten Verbeugung gegen Vitus durch den Treppenaufgang zurück.
Vitus, einen Kopf größer als der Kardinal, wirkte diesem dennoch wie aus dem Gesicht geschnitten, nur daß seine Züge wesentlich bäuerlicher, grober waren. Er stand vor dem herrischen Capoccio wie ein gemaßregelter Scholar. »Ja, Vater – sofort werd ’ –«
»Nenn mich
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