Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
Herzensingenieur ihre Liebe offenbarte, nein, sie beauftragte ihn kühl, für ihre Flucht aus dem Kloster zu sorgen – das Weitere würde sich schon finden –«
Der Bischof unterbrach hier den sprudelnden Strom se i ner Erzählung, um nun endlich einen Beitrag seines schweigenden Zuhörers einzufordern, doch Beccalaria starrte abweisend in das Land; sein Blick ging weit weg durch Wolken und Berge. So fuhr der Monsignore en t täuscht fort:
»Das Weitere fand sich auch: Blanchefleur gelangte nach Montreal, dem vereinbarten Treffpunkt mit ihrem Baumeister. Doch der erschien nicht. Statt dessen fiel sie in die Hände des jungen Trencavel, Sohn Eures Parsifals!« Beccalaria zeigte mit keinem Zucken, inwieweit ihn die Geschichte berührte. »Ramon-Roger III. war im Begriff, Carcassonne, sein väterliches Erbe, zurückzuerobern, und hatte hier das heimliche Hauptquartier seiner um ihn g e scharten Rebellen und faidits errichtet. Der Vicomte, ein Ritter im besten Mannesalter, mit dem Charisma seines so tragisch verendeten Vaters und immer noch vom verwe l kenden Strahlenkranz des Gralsmythos umflort, b e handelte seine schöne G ef angene mit Zuvorkommenheit, soweit ihm seine konspirativen Machenschaften Zeit und Gedanken dazu ließen. Er warb nicht um sie, und sie wartete auf ihren – immer mehr verblassenden – Helden, der nicht kam und nichts von sich hören ließ. Am Vorabend zum entscheide n den Angriff auf Carcassonne wurde Blanchefleur aus freien Stücken die Geliebte des Trencavels. Am Morgen küßte er das scheue Mädchen, das ihm die Nacht zart und hing e bungsvoll versüßt, und ritt in die Schlacht, in der er fiel. Sie mußte, mit Hilfe der wenigen Getreuen, die überlebt hatten, fliehen – von Ort zu Ort, von Versteck zu Versteck, in einem Lande, das ihr fremd war und in dem sie außer dem untreuen Gese l len keine Freunde hatte. Oliver von Termes, ein Waffengefährte des glücklosen Trencavel, brachte die Hochschwangere schließlich auf dem Monts é gur in Sicherheit –«
»Nein!« sagte de la Beccalaria. »Oliver verriet sie ein zweites Mal! Ich fand sie im Elend und dem Sterben n a he und trug sie auf meinen Armen – ein Pferd hatte ich nicht – bis oben in die Gralsburg. Ich hatte mich, in ritte r licher Entführung völlig unbedarft, an Oliver gewandt, den meine Familie kannte und mit dem ich mich in meinen Symp a thien für den Glaubensweg der Reinen und in der Liebe zu unserer Heimat, dem Languedoc, einig wu ß te, und ihn um Rat und Hilfe bei dem für mich allein schwierigen Unte r nehmen gebeten. Oliver nahm alles – allzugern! – in die Hand. Er diente die leichte Beute hi n ter meinem Rücken dem Trencavel an, dessen Gefolgsmann er war; er hieß mich in Villeneuve de Montreal – nicht einfach Montreal, das weiß ich genau! – warten und keinen Mucks von mir geben – ›und wenn es Tage da u ern sollte!‹ Er ließ mich dort von Unbekannten aufst ö bern, jämmerlich verprügeln und – unter Androhung des Todes – davonjagen, und so dauerte es Monate, bis ich die Spur der flüchtenden Bla n chefleur aufnehmen konnte und sie endlich fand. Oliver hatte sie schmählich im Stich gelassen. Gleich nach dem mißglückten Versuch der E r oberung von Ca rc assonne hatte er sich dem König von Frankreich zur Verfügung gestellt, war also zur anderen Seite übergelaufen – Blanchefleur schenkte kurz darauf, ich hab sie nicht mehr gesehen, auf dem Montségur e i nem Knaben das Leben. Sie gab ihm den Namen ›Roger-Ramon-B ertrand‹!«
»Das brachte mich auf Eure Spur«, sagte der Bischof mit belegter Stimme. »Sie tauchte noch einmal kurz ohne das Kind in Prouille auf, verließ es dann aber, um in einem u n bekannten Kloster vor der Welt, vor allem aber vor den Nachforschungen ihrer Mutter für den Rest ihres Lebens sicher zu sein; mehr vertraute sie mir nicht an.«
»Und wie das Schicksal so spielt«, sagte der Baumeister, »hat sie vielleicht mit der Wahl des Vaters für diesen Sohn die hochzielenden Erwartungen ihrer Mutter – falls diese in die Richtung gingen, die ich vermute – weitaus besser g e troffen, als die hohe Herrin es planen oder wünschen kon n te. Die Blutsbande mit dem aussterbenden Haus der Tre n cavel kommen der direkten heiligen Linie, der des Gral, verdammt nahe!«
Das klang verbittert, und der Bischof konnte es nicht lassen, den so Verletzten im weiten Mantel der Kirche au f zufangen: »Es gibt nur ein ›Heiliges Blut‹, das unseres Herrn Jesus
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