Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
Yolanda, der jungen Königin von Jerusalem, die Schö n ste seiner Töchter, Anaïs – ihre Mutter soll eine Nac h kommin des großen Salomon gewesen sein –, als Brau t jungfer nach Brindisi. Anaïs war auch kaum älter als die dreizehnjährige Kindsbraut, doch bereits in voller G e schlechtsreife erblüht und sich dessen kokett bewußt. Der Staufer, sicher betrunken, aber auch nüchtern von ebenso unersättlicher wie unsensibler Sexu a lität« – es war La u rence anzumerken, wie sehr sie dieser Typ Mann anw i derte; nie war sie die Geliebte des Kaisers, dachte sich Sigbert –, »Friedrich fand wohl im Brautbett keine B e friedigung seiner gewalttätigen Geilheit, so ließ er von Yolanda bald ab – ihren Sohn empfing sie erst zwei Ja h re später
- und wandte sich den Mädchen zu, die vor der Tür als Zofen wachten. Anaïs stach alle anderen aus, sie zierte sich nicht, der Kaiser nahm sie im Stehen a tergo, vor den A u gen der anderen, während hinter der Tür die g e demütigte Braut in ihre Kissen schluchzte. Anaïs wurde schwanger; eine Aufnahme in den Harem des Kaisers zu Palermo – die von ihrem Vater durchaus eingerechnet war – empfahl sich nicht, da Yolanda ihre Schmach an ihr g e rächt hätte. So wurde sie zur Niederkunft der alten Mutter seines Admirals übergeben –«
»Enrico Pescatore – Euer Gatte?« hakte Sigbert nach.
»Wir waren uns damals noch nicht begegnet«, wies La u rence seine aufkommende Neugier ab. »Als ich meine Hand dem Grafen reichte« – sie betonte dies so, daß man den Wert erkennen konnte, den sie auf den Umstand le g te, daß es – zumindest für sie- keine Liebesheirat gewesen war, geschweige denn Lust –, »war Clarion, die Tochter des Kaisers, bereits zwei Jahre alt. Um diese Zeit starb Y o landa –«
»Bei der Geburt unseres Königs Konrad«, fügte Sigbert hinzu, auch um zu zeigen, daß er zu folgen vermochte.
»- im Wochenbett, und Anaïs, von Friedrich schmerzlich vermißt, konnte endlich in den Harem aufgenommen we r den. Clarion blieb hier und wurde von mir wie mein eigen Fleisch und Blut erzogen, zusammen mit Hamo, von dem ich bald darauf genas.«
»So ist also Clarion die Enkelin meines Emirs und Nic h te von Konstanz, was dieser sicher nicht weiß -?«
»Nicht zu wissen braucht«, bemerkte Laurence knapp, »es sei denn, das Kind macht ihm weiterhin schöne A u gen, was sich jedoch mit Eurer baldigen Abreise von selbst e r ledigen dürfte!«
»Verjagt uns deshalb nicht aus dem Paradies«, hielt ihr Sigbert entgegen, den Affront überspielend. »In dem A l ter sind alle Mädchen bemüht, ihre Wirkung auf Männer fes t zustellen, wa s n icht heißen muß, daß sie auch bereit sind, sich jedem hinzugeben –«
»Clarion benimmt sich wie eine brandige Katze!« zürnte die Gräfin, und ein Blick hinab zum Brunnen war nicht dazu angetan, sie vom Gegenteil zu überzeugen. »Selbst Blutschande würde sie lustvoll in Kauf nehmen, ob nun Bruder oder Oheim – ein geiles Luder!«
Sigbert war dieser Ausbruch unangenehm, aber er war viel zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, als daß er irgend etwas hätte sagen können.
Vom Meer her wehte der Duft wilden Rosmarins und würzigen Thymians, vermischt mit dem salzigen G e schmack der Gischt, die aus den Felsen stob. Die Mauern hinaufwirbelnd traf er auf die leichten Schwaden, die den Jasminhecken entströmten, die starken Geruchsfahnen der blaßvioletten Lilien von betäubender Schwere. U n sichtbare Aromawolken umschmiegten Lust und Weh wie pizzicato-Zupfer auf der Saite einer Laute, die, von irgendwoher e r tönend, irgendwo hinschwanden zwischen Steinen und Meer.
Das Opfer des Beccalaria
Montauban, Herbst 1244
Der Besucher, der über die akkurat behauenen Kapitell-Steine und Säulenprofile des Dombauplatzes von Saint-Pierre stieg, sah nicht aus wie ein Bischof. Monsignore Durand trug den braunen Habit eines Jägers, und es war ein Jagdausflug, der ihn hierher nach Montauban geführt hatte. Er war allein gekommen, hatte sein Pferd, von dem das erlegte Wildpret baumelte, am Fuße des gewaltigen Gerü s tes angebunden, und als seine Frage an die Stei n metzen nach dem Meister mit einer Daumenbewegung nach oben beantwortet wurde, hatte er sich an den Au f stieg gemacht.
Sprosse für Sprosse die Leiter erklimmend, überkam ihn die Bewunderung über die Kühnheit der schlanken Linie n führung, mit der die Pfeiler in der Chorwand gut hu n dert Fuß frei in die Höhe ragten, ehe sie in spitzen
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