Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
Christus!«
»Richtig«, gestand Beccalaria zu.
»Den Gläubigen zeigt es der Priester in der Heiligen Monstranz.«
Der Baumeister schüttelte den Kopf. »Für die Wisse n den rinnt es in den Adern des Adels, der sich zur Gralsf a milie, den wahren Erben des Messias aus dem königlichen Hause David, rechnen darf -!«
»Wer war also die Mutter Eurer Blanchefleur, daß Ihr so gewiß seid, in dem Kinde Roger-Ramon-Bertrand offenb a re sich so einzigartige Kulmination königlichen Bl u tes?«
»Ich weiß es nicht, und ich weiß auch nicht, wer der V a ter war. Und wenn ich es wüßte –«
»Wer der Vater war, kann ich Euch sagen: der Kaiser! Doch von Euch will ich hinter das Geheimnis der Herz o gin geführt werden.«
»Die Mühe hättet Ihr Euch sparen können. Ich habe nie danach gefragt und kann durchaus mein Leben beschli e ßen, ohne es zu wissen!«
Beider Blicke fielen auf eine schwarze Kutsche, begle i tet von Bewaffneten, die in einer Staubwolke den Weg auf die Baustelle zu nahm.
»Er wird Euch keine Mühen ersparen, und Ihr werdet reden müssen, bevor Ihr Euer Leben beschließen dürft«, sagte der Bischof leise und keineswegs drohend, eher mit einem Ton des Bedauerns. »Ihr solltet fliehen, Bertrand – dort kommt der Inquisitor –«
»Viele Fragen bleiben unbeantwortet«, sagte der Ba u meister und beugte sich weit vor, um genau verfolgen zu können, wie das düstere Gefährt unten vor der Öffnung für das Portal hielt und die Reiter absprangen und den Ba u platz zu umstellen begannen. Der Bischof versuchte ihn am Ärmel zurückzuzerren, er war ehrlich besorgt. »Ihr könnt über die Wendeltreppen flüchten, unten steht mein Pferd, in Albi –«
»Eure Kathedrale«, unterbrach ihn freundlich Beccal a ria, und es gelang ihm für einen Augenblich die Befürc h tungen des anderen zu zerstreuen, »und viele Kathedralen«, sagte er begütigend, »bleiben ungebaut!«
Mit diesem letzten Wort tat er einen Schritt rückwärts, als hätte er unachtsam vergessen, daß hinter ihm der A b grund war, und stürzte in die Tiefe, nicht etwa im freien Fall: Er schlug erst schräg aufs untere Strebwerk auf, pral l te ab, dann wurde sein Körper gegen den Pfeiler geschle u dert, bevor er auf dem Dach der Apsis liegenblieb! Dann brach ganz langsam, als würde Gottes Hand die Steine l ö sen, der angeschlagene Bogen auseinander, und die sor g sam behauenen Steine folgten ihrem Meister, ers t e iner, dann zwei, drei, schließlich alle – ihr Stürzen übe r tönte das kratzende Geräusch des Risses in dem dazugehörigen Str e bepfeiler, er wankte unentschlossen, sein des Widerstandes beraubtes Gewicht neigte sich, und er brach zusammen, worauf auch das gegenüberliegende, gestützte Wandstück nicht mehr an sich hielt, es kippte in einer ruhigen Bew e gung nach außen, zerschlug im Fall die Streben der and e ren Pfeiler, riß sie mit sich, bis wie ein Buschfeuer, das sich von drehenden Winden nach beiden Seiten ausbreitet, rechts und links die Arkaden, die Pfeiler, die Wände im Getöse von splitterndem Holz und berstendem Gestein, in aufstiebenden Wolken von Mörtelstaub zusammenfielen und von Saint-Pierre nur noch eine Ruine übrig war, aus der ein Turm aufragte.
Der Große Plan
Cortona, Sommer 1244 (Chronik)
»De profundis clamavi ad te, Domine …«
Mit einem Morgengebet begann mein Tag im Keller von Cortona.
Anfangs suchte mich Elia noch gelegentlich auf, en t schuldigte sich quasi für die Verzögerung, indem er mich in seine Pläne einweihte, eine Kirche und ein Kloster zu errichten, dem heiligen Franziskus geweiht. Er zeigte mir die Entwürfe und klagte über die störrische Kommune, die ihm zwar den notwendigen Baugrund in Aussicht gestellt habe, aber die Ausfertigung der Urkunde von Woche zu Woche verschleppe. Doch nachdem dann einige Zeit – mehr als ein Monat – ins Land gegangen war, sah ich ihn kaum noch, und wenn, dann hastig, abwe i send nervös, und schließlich vergaß er mich wohl ganz.
Ich kannte mich inzwischen im weiträumigen Unter g rund des Kastells gut aus. Frau Gersende ließ mir des Nachmittag s f reien Zutritt zum Weinkeller, und des Nachts gestattete sie mir für ein paar Stunden, im Küchenhof Luft zu schnappen. Was sie mir nicht gestattete, war, ihr bei solchen Gelegenheiten schnell unter die Wäsche zu fahren. Und die Schlafkammern der Mägde lagen hoch unterm Dach. Gersende war eine tugendsame Frau, mütterlich, hilfsbereit und zupackend, aber den, der es so gut g e braucht,
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