Gral-Zyklus 1 - Die Kinder des Gral
überlegte er laut und sachkundig, schwieg aber dann schnell, weil er den geheimen Einlaß gar nicht ke n nen durfte.
Er rannte hinter Yeza her, die neben der sich aufwärts bewegenden Sänfte hüpfte und immer noch rief: »Ein ric h tiger Musselmann mit Turban!«
Tarik blinzelte ihr zu und klopfte mit seinem Stock an die Vorderwand, so daß die Träger innehielten. Er reichte Yeza seine Hand und zog sie zu sich ins Innere, wo er ihr den gegenüberliegenden Platz anwies. Er sagte kein Wort, und sie lächelten sich an, als nach zwei Stockst ö ßen die Sänfte sich wieder in Bewegung setzte.
Roç war enttäuscht zurückgeblieben; als er aber sah, daß die Wache ihm keine Aufmerksamkeit mehr schenkte, schlüpfte er zu dem griechischen Amor in der Nische und hebelte an dessen Bogen. Ein Schlitz in der Wand öffnete sich, so wie er mit aller Kraft den Druck verstärkte. Da er schmal war, genügte ihm schon ein armdicker Spalt, um sich hindurchzuzwängen.
Roç spürte die ihm vertraute feuchte Luft der Gänge zwischen den Mauern, der geheimen Treppen und der zw i schen den Stockwerken eingearbeiteten intercapedine, den Fluchtkammern. Es war eine Welt für sich. Ärgerlich war nur, daß Yeza nicht bei ihm war. Ihr konnte er seine Entd e ckungen erklären, und sie hatte Einfälle, sie zu verwenden. Es war einfach lustiger mit ihr, so anstrengend sie auch sein konnte! Roç seufzte und machte sich auf seine Runde.
»… Der Orden kann dir Heimat sein!« hörte er eine Stimme.
Es herrschte langes Schweigen, und Roç wollte schon weiterwandern, als er Hamos Antwort vernahm:
»Danke, Herr Sigbert, für Eure großmütige Geste, aber ich wäre des Ordo Equitum Theutonicorum nicht wert noch würdig –«
»Das zu entscheiden obliegt den Oberen –« unterbrach der Ritter solche Verzagtheit, aber er schätzte die Einsic h ten seines jugendlichen Gegenüber damit völlig falsch ein.
»Ist nicht sein wahrer Name in voller Länge ›Ritter und Brüder des deutschen Hauses unserer lieben Frauen zu J e rusalem‹?« Sigbert nickte einverständig. »Meine Frau Mu t ter hat mich so erzogen, daß in meinem Kopf nur eine ›li e be Frau‹ existiert – sie duldet keine Maria neben sich, eher noch eine Magdalena!« Hamo war bitter, aber kühl im G e gensatz zu Sigbert.
»Aber in deinem Herzen, Hamo, da muß es doch –«
»Ich habe kein Herz«, unterbrach ihn Hamo bockig, »und ich will auch keine Heimat; ich will Fremde!« Als er die Ratlosigkeit des Ritters bemerkte, setzte er noch eines obendrauf. »Ich bin der einsame Wolf, ich will keinem R u del angehören, mich keiner Ordenszucht unterwerfen. O t ranto ist zu klein für mich – die Gräfin täuscht sich, ich will es nicht erben.«
»Überleg es dir gut«, versuchte Sigbert ihn zu b e schwichtigen, doch nun wurde Hamos Stimme abweisend.
»Ich werde gehen und will sie nie mehr wiedersehen! Ihr könnt ihr das sagen oder auch nicht!«
»Ein Gespräch zwischen Männern« – Sigbert versuchte zu retten, was zu retten war –, »sollte auch zwischen Mä n nern bleiben, Hamo, und das sind wir Ritter allemal in er s ter Linie.«
»Ob ich ein Ritter werde, wird sich zeigen; vielleicht ende ich auch als Dieb, Spion, Meuchelmörder oder als sonst ein Galgenvogel – oder ich werde Entdeckungsre i sender!«
»Eine weite Palette!« versuchte Sigbert zu scherzen, um das Gespräch zu einem versöhnlichen Abschluß zu bri n gen. »Also sehen wir uns doch vielleicht mal wieder: Das Heilige Land ist voll von solchen Abenteurern, und viele enden dann doch als Ritter, die Enttäuschten in der Zucht eines Ordens, die unzüchtigen in der Enttäuschung der Ehe!« »Erzählt mir von solchen, denen beides erspart blieb …« Hier beschloß Roç, seine Wanderung wieder aufz u nehmen. Erbauliche Geschichten aus dem Heiligen Land hingen ihm zum Halse raus. Als wenn es sonst nichts gäbe! Und Hamo war ein Spinner! In Wirklichkeit wollte er bloß Clarion heiraten. Aber die wollte ihn nicht. Er sei zu jung! – Ob Yeza das auch zu ihm sagen würde, wenn er sie zur Braut nahm? Das mußte er sich noch gut überlegen. Im Gegensatz zu Hamo hatte Roç noch Zeit …
Laurence betrat den Speisesaal und überflog die gedec k te Tafel. Es war Mittag, und sie liebte keine schwere Kost. Jeder konnte sich nehmen, was ihm beliebte. Es waren der Platten und Schüsseln reichlich aufgetragen. Würzig ang e richtete Salate aus Octopi und Muscheln, Calamares und Gambaretti, in Öl und Weinessig eingelegte Art i
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