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Gran Reserva

Gran Reserva

Titel: Gran Reserva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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er?
    Auf dem Weg zum Auto sah er auf dem Boden etwas im Mondlicht schimmern, an einer Stelle, über die sie gerade noch die Leiche gezerrt hatten. Er bückte sich hinunter und hob es auf. Ein goldenes Kreuz an einer ebensolchen Kette. Es musste dem alten Mann gehört haben. Max steckte es ein und bekreuzigte sich. Er glaubte immer noch nicht an Gott, aber in dieser Nacht hätte er gut einen gebrauchen können.
    Als sie sich ins Auto setzten, starrte Cristina vor sich hin. Max beschloss zu schweigen.
    Er brachte sie zurück zu Faustino, hielt jedoch nicht vor dem Gebäude, sondern gute hundert Meter entfernt.
    Cristina stieg ohne ein Wort aus. Es gab keine Verabschiedung. Keinen weiteren Kuss.
    Sie verschwand nur in der Dunkelheit.

Kapitel 2

    1982 – Ein herausragendes Jahr, auch wenn die Weine nicht die Langlebigkeit der 81er haben. 64er und 94er sind allerdings noch besser. Fast jede Bodega erzeugte in diesem Jahr große Weine. Unter anderem Salceda, El Coto, Faustino.
    Juan verteilte gerade mit breitem Pinsel Rot über das Bild seiner nackten Eltern, als Max kurz nach drei Uhr früh ins Wohnzimmer trat. Auf dem Boden stand ein gefüllter Rotweinkelch. Der große sandfarbene Kater schnupperte kritisch daran.
    »Der Wein steht in der Küche«, sagte Juan zur Begrüßung. »Ist von Faustino, ein Crianza, Selección de Familia. Etwas moderner als der Gran Reserva. Passt sehr gut zu meinem Bild. Das soll auch modern werden.« Er zog eine breite, rote Pinselspur über die Augen seiner Eltern und lachte.
    »Ich verstehe spanische Frauen nicht«, sagte Max, den Blick in den dunklen Garten gerichtet.
    »Dann geht es dir wie allen Männern dieses Landes. Das ist das Wunderbare an unseren Frauen.«
    Max ging in die Küche und schenkte sich ein. Er trank das Glas in einem Zug leer. Sofort füllte er nach. »Interessiert es dich gar nicht, wo ich gesteckt habe?«, rief er in Richtung Wohnzimmer.
    »Du hast dich vermutlich amüsiert. Das ist doch schön für dich!«
    »Amüsiert? Na ja, so wie man sich amüsiert, wenn man auf einer Achterbahn gefesselt ist.«
    »So sind spanische Frauen.«
    Max setzte sich auf die Kante des massiven Holztisches, der Kater sprang neben ihn und rieb den Kopf an seinem Oberschenkel. Jetzt erst fiel Max auf, dass er leicht getigert war, braune Streifen verliefen über sein Fell.
    »Yquem hat Hunger«, erklärte Juan. »Yquem hat immer Hunger. Er ist der verfressenste Kater von ganz Spanien.«
    »Ich hab aber nichts für ihn.«
    »Irgendwann wirst du etwas haben. Er arbeitet gern im Voraus. Wie sind deine Fotos geworden? Gabʼs bei Faustino was Ordentliches für deine Linse?« Mit seinen blutrot gefärbten Händen griff Juan sich das Glas und trank einen Schluck. »Diese Aromen von Gewürzen und Vanille, grandios. Tempranillo, du bist wundervoll! Weißt du eigentlich, dass es übersetzt ›Die kleine Frühe‹ heißt? Ich finde immer, das hat etwas von frühreif, von erotischer Spannung. Er heißt natürlich nur so, weil die Beeren einerseits klein und andererseits eher reif sind als die anderer Sorten. Ist mir aber egal.«
    Max holte seine Kamera aus der Tasche und klickte die Fotos, die er im Laufe des Tages gemacht hatte, auf dem Display durch. Auf fast allen war Cristina zu sehen. Und auf einigen wenigen die Leiche eines alten Mannes. Diese Bilder hatte er ihr verschwiegen. Er hatte noch nie einen Toten fotografiert. »Ich hab wirklich einige…außergewöhnliche Fotos gemacht.«
    »Siehst du, es lohnt sich, dass du hergekommen bist. Hier erlebst du was Neues.«
    »Das kannst du laut sagen.« Yquem kletterte auf seinen Schoß und begann zu schnurren. »Was weißt du über Faustino?«
    Juan hörte auf zu malen. »Wie meinst du das? Die machen Wein, großer Laden, sehr bekannt. Eine der wenigen Bodegas, die richtig viele Weinberge besitzt. Irgendwas über fünfhundert Hektar. Die meisten anderen kaufen ja Trauben auf, das ist hier so üblich. Faustino hat noch fast alles selbst in der Hand. So wie die Châteaus in Frankreich.«
    »Gab es mal Skandale oder so was?«
    »Wieso? Hast du bei denen Leichen im Keller gefunden?«
    Max musste grinsen.
    Das tat gut. »So kann man das sagen. Ganz genau so kann man das sagen.«
    Juan drückte die gläserne Schiebetür zum Garten auf, trat hinaus und streckte die Arme auseinander. »Also, ich weiß von keiner Leiche bei Faustino. Feinde wird es bestimmt geben, immerhin sind sie erfolgreich. Die Martinez, das sind die Besitzer, gehören zur High Society bei

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