Gran Reserva
die es so nur in Oyón gab, und das würde sie zum Weingut führen, weiter zu Cristina und dann auch zu ihm. Wie konnten sie nur so dumm gewesen sein zu glauben, mit der Entsorgung der Leiche wären alle Probleme gelöst? Wieso hatte er sich nur darauf eingelassen?
Und wieso konnte er nun nicht einfach loslassen und vergessen?
Er wollte mehr über das Leben des Toten wissen. Seines Toten.
Wer als Pilger aus Logroño kam, wählte als nächsten Halt zumeist das rund dreißig Kilometer entfernte Nájera, welches zwei Pilgerherbergen bot, wobei die private im Vergleich zur städtischen mehr Betten hatte. Er wusste das von seiner eigenen Reise über den Weg, die er wie wohl viele andere deutsche Pilger Hape Kerkeling zu verdanken hatte. Auch wenn er damals einige Etappen übersprungen hatte. Aus Zeitgründen.
Wenn er sich beeilte, konnte er in Nájera noch Wanderer des Jakobswegs abfangen, die mit Escovedo die Nacht in der Albergue de Peregrinos verbracht hatten, die etwas erzählen konnten über diesen Mann, den er selbst nur mit dem Tod in seinen Augen kannte.
Nájera zählte nur rund siebentausend Einwohner und war vor allem wegen des ehemaligen Benediktiner-Klosters Santa María la Real berühmt. Max hatte Glück, am Morgen losgefahren zu sein, einige Pilger hatten sich noch nicht auf den Weg Richtung Santo Domingo de la Calzada gemacht. Max gab vor, Fotos für einen Bildband über den Jakobsweg zu schießen, und erzählte jedem von einer wunderbaren Begegnung mit einem gewissen Alejandro Escovedo in Logroño. Doch niemand hatte von diesem gehört oder ihn getroffen. Bei der zweiten Herberge dasselbe Ergebnis. Schließlich fuhr er den Jakobsweg entlang bis nach Azofra und befragte jeden Pilger, der dort Rast eingelegt hatte.
Max hatte schon die Hoffnung aufgegeben, als er auf ein älteres Pärchen aus Schweden traf, die mit Goretex-Rucksäcken und Wanderstöcken an ihm vorbeimarschieren wollten, als er ihnen den Namen des Toten zurief.
Sie blieben stehen.
»Kennen Sie ihn?«
Ihr Spanisch war brüchig, doch ihr Englisch sattelfest. »Ein wunderbarer Mann und ein großer Freund der Tiere. Er hat sich lange die Tauben angesehen und saß so still, dass sie sich sogar auf ihn setzten.« Die Frau lächelte bei dieser Erinnerung. »Er erzählte uns, dass er Ziegen am allerliebsten mochte, weil sie so kluge Tiere seien. Ziegen seien sein Ein und Alles. Erst mit dem Alter hätte er sein Herz für Fische entdeckt, und dass er eigentlich ein Mann sei, der immer Wasser um sich brauche.«
Das zumindest, dachte Max, hatte er bekommen.
»War er schon lange auf dem Jakobsweg unterwegs?« Max erinnerte sich daran, dass sich kein Rucksack in dem Fach befunden hatte, in dem Cristina und er die Leiche entdeckt hatten. Vielleicht hatte der Mörder ihn entsorgt?
Jetzt sprach der Mann, aus dessen sonnengebräuntem Gesicht der weiße Dreitagebart herausstach. »Nein, er war kein richtiger Pilger, hatte seine Wanderschaft auch erst in Estella begonnen. In seinem Alter ist aber selbst ein kurzes Stück eine Leistung.«
Erstaunlich, das aus dem Mund eines Mannes zu hören, der die Siebzig sicher auch schon hinter sich hatte. Aber es gab eben immer noch Ältere.
»Hat er erzählt, dass er Weingüter besuchen wollte? Faustino vielleicht?«
Jetzt schüttelten beide den Kopf. »Er erzählte etwas von einem alten Freund, der seine Hilfe brauche. Aber erst müsse er sich noch darüber klar werden, wie diese aussehen könne. Mehr wollte er nicht darüber erzählen, aber das war wohl der Grund, warum er so viel grübelte.«
Wie Nadelstiche im Rücken spürte Max, dass jemand hinter ihm stand und ihn anblickte. Er drehte sich um.
Dort stand ein Uniformierter. Bevor Max etwas sagen konnte, sprach er schon.
»Sind Sie der Mann, der sich nach Alejandro Escovedo erkundigt hat?« Er wartete die Antwort nicht ab. » Folgen Sie mir bitte umgehend aufs Polizeirevier.«
Fragen wie Beschuldigungen, Blicke wie Verurteilungen, ein Raum wie ein Gefängnis. Für Max war es die Wiederholung eines Stückes aus seiner Jugend – doch diesmal in der FSK-18-Version. Mit sechzehn Jahren hatte er gegen den Golfkrieg protestieren wollen, indem er auf eine schöne, große Hauswand »Rettet Irak – Trinkt Öl statt Wasser!« sprayte – er kam jedoch nur bis zur Hälfte, da erwischte ihn die Polizei. Die Wand gehörte zu einem Gebäude des Erzbistums Köln. Es gab einen Prozess, der mit einer Verurteilung zu Sozialarbeit endete.
So glimpflich würde er
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