Gran Reserva
hier wohl nicht davonkommen.
Die Policía Municipal wollte einen Mörder stellen. Je eher, desto besser. Maxʼ Hinweise auf seinen Status als Journalist und darauf, dass der Täter sich nach seiner Tat wohl kaum nach dem Opfer erkundigen würde, brachten nichts. Die Polizisten pressten ihn mit ihren Fragen, immer weiter. Doch er sagte nichts darüber, wo er sich in den letzten Tagen aufgehalten und ob er den Toten gekannt hatte. Er gab ihnen nur seine Personalien und seinen Aufenthaltsort. Obwohl Max bewusst war, dass er sich damit nur noch verdächtiger machte. Nur: Was sollte er sagen? Welche Lügen wären glaubwürdig? Sein Hirn streikte.
In Juans Freundeskreis befand sich glücklicherweise ein Anwalt, welcher glücklicherweise einen Polizisten kannte, dem glücklicherweise einer der ermittelnden Beamten etwas schuldig war.
Sie ließen ihn gehen.
Doch los ließen sie nicht, das spürte Max. Der leitende Beamte, ein aufgeschwemmter Mann mit Elvis-Tolle namens Emilio Valdés, dessen Körper selbst an den Stellen mit Fettpolstern bedeckt war, wo laut Biologieunterricht gar keine sein konnten, blickte ihn an, wie ein Hund, der seine Zähne tief in ein Stück Fleisch versenkt hatte und dieses nicht mehr herausrücken wollte.
Max fühlte sich unwohl als Stück Fleisch.
Der Anwalt, Felipe Jacinto, ein älterer Herr mit Dalí-Bart und stoischem Lächeln, fuhr zuerst mit ihm in eine Bar, wo sie einen Café Solo, dann einen Café Cortado und zum Schluss einen Vina Joven aus Rioja tranken. Danach ging es Max ein wenig besser, und er ließ sich zurück zu seinem in Azofra abgestellten Wagen fahren. Felipe wollte kein Geld als Dankeschön, er schien regelrecht beleidigt, als Max es ihm anbot. Stattdessen fragte er nur, was er noch für ihn tun könne, als gäbe es keine Arbeit, die auf ihn wartete. Doch Max lehnte dankend ab und verabschiedete sich. Denn nach diesem Vorfall wollte er Cristina umso dringender sprechen – und er hatte eine Idee, wie er an ihre Nummer gelangen würde. Er blickte sich um, ob ihm ein Polizist gefolgt war, dann holte er sein Handy hervor und wählte die Nummer der Bodegas Faustino.
»Hola, hier ist Miguel, Cristinas Großcousin aus Schweden. Ist sie zu sprechen?«
»Hola, Miguel. Sie ist leider krank. Da musst du zu Hause anrufen.«
»Hab gerade ihre Nummer nicht zur Hand. Könntest du sie mir kurz durchgeben?«
Schweigen. »Ihre Stimme kommt mir so bekannt vor. Haben Sie nicht heute … sind Sie nicht der …«
Max legte auf.
Verdammt!
Er musste hin. Vertrauen gewinnen. Dann würde er auch die Nummer bekommen. Und wenn er nicht bald mit Cristina sprach, würde er explodieren.
Doch diesmal: offene Karten. Kein Versteckspiel. Ganz offiziell als Fotograf zu Faustino, um Bilder des Weingutes zu schießen. Dabei würde er auf die einzige Frau zu sprechen kommen, die er bei Faustino kannte: Cristina. Das konnte ihm ja niemand zum Vorwurf machen! Über den Kofferraum gebeugt, prüfte er, ob der Akku seiner Kamera aufgeladen war. Dabei fiel sein Blick auf ein Kartenset mit Sekundenmeditationen. Er hatte es vor einem Jahr gekauft und geplant, sich jeden Tag eine anzusehen. Doch diese Sekunden hatten sich nie gefunden. Dabei hatte der Tag 86400 davon.
Er zog eine heraus. »Heute gehe ich ohne Kopf«, stand darauf. Max schüttelte den seinen vor Verwunderung – und griff unwillkürlich an sein Haupt. Würde ihn der heutige Tag noch den Kopf kosten? Oder sollte es bedeuten, seinen Gefühlen zu vertrauen? Oder nur, dass man ohne Kopf nicht gehen konnte, da man dann auch nichts sah, hörte oder roch? Er kam ins Grübeln. Das war dann wohl die Meditation. Ohne eine Antwort dazustehen. Wie so oft im Leben.
Viel zu schnell, geradezu kopflos, fuhr Max zu Faustino.
Vor der Bodega schoss Max Fotos von Arbeitern, die Gerätschaften auf einen Anhänger luden. Alte, sonnengegerbte Männer, deren Hände mehr Schwielen aufwiesen als Traktorreifen Rillen.
Die Bodega war sehr geschäftig. Die Weinberge wurden auf der Schattenseite entblättert, um mehr Luftzirkulation zuzulassen, welche die Trauben nach Regen schneller trocknen ließ. So ließen sich Staunässe und Schimmelbildung verhindern.
Max stellte sich am Empfang vor, und nach kurzer Rücksprache mit dem jung-dynamischen Exportmanager Pepe Salinas, einem Mann, der aussah, als käme er gerade erst von der Party seines Lebens, die bis in den frühen Morgen gedauert hatte, bekam er die Erlaubnis, sich auf der Bodega frei zu bewegen – man bat nur um
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