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Gran Reserva

Gran Reserva

Titel: Gran Reserva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Wasser.
    Das gefiel ihm.
    Doch nun musste er sie totschlagen, die Zeit.
    Max schlenderte durch den Ort, fotografierte, was ihm ins Auge fiel, und landete schließlich auf dem Platz vor dem Rathaus, wo ihn beim letzten Mal der Alte abgekanzelt hatte. Eine Rückkehr an den Ort der Niederlage. Die Luft über den heißen Pflastersteinen flirrte, und Max hoffte, dass sich die Kühle des Abends heute etwas früher wie ein Seidentuch über das Land legen würde. Er wollte sich noch ein wenig auf den Platz des alten Mannes setzen und grimmig dreinschauen, damit einer diesen Job erledigte und alles seine Ordnung hatte. Doch seine Hilfe wurde nicht gebraucht. Der Greis saß wieder da, in derselben Körperhaltung, leicht vornübergebeugt, die Unterarme auf den Oberschenkeln abgelegt. Er sah den Neuankömmling – und blickte zu Boden.
    Max setzte sich neben ihn, schaltete seine Digitalkamera ein und zeigte ihm die Fotos von La Bastide.
    »Ein schöner Ort ist das.«
    Keine Antwort. Max klickte Bild um Bild vor, der Blick des alten Grantlers haftete darauf. Plötzlich grunzte er, und Max klickte zurück. Die Kamera wurde ihm aus der Hand genommen. Auf dem Display war ein großes Gebäude zu sehen, das früher eine Art Verwaltung beherbergt haben musste, doch mittlerweile verfallen war. Einige Decken waren bereits eingestürzt, die Fensterscheiben zersprungen. Max hatte die Verwüstung fotografiert, den Verfall, schonungslos und doch auch mit einer friedlichen Schönheit. Den langsamen Verfall, das Nagen der Zeit. Doch aus einem bestimmten Winkel hatte es ausgesehen, als sei alles noch intakt, und die Sonne hatte ihr Licht wie Gold über der Szenerie ausgegossen. Max mochte das Foto nicht, obwohl es aus ästhetischen Gesichtspunkten gelungen war. Es war eine Lüge, oder zumindest eine Illusion.
    Der Alte fuhr mit den Fingerspitzen über das Bild, wodurch die Kamera es heranzoomte.
    »Ein Touchscreen, Sekunde«, Max stellte die Anzeige zurück.
    »Wunderschönes Gebäude. Was ist es?«
    Der Greis blickte nicht auf. »Eine Schule. Unsere Schule. Gutes Foto. Ich bin Fernando.« Er reichte ihm die Hand. Sein Atem roch nach Wein.
    »Soll ich dir einen Abzug davon machen?«
    »Zu viel Aufwand.«
    »Mach ich gern.«
    »Weil du was von mir wissen willst. Es ist ein Geschäft.«
    »Wegen Cristina? Nein, ich muss nichts mehr über sie wissen, das schaff ich auch alleine.«
    Fernando lachte knarzend. »Du meinst also, du kennst die Frauen?«
    Max dachte darüber nach. Natürlich gab es »die Frauen« nicht, und jede Frau in seinem Leben hatte ihn überrascht und fasziniert. Er kannte die Frauen, so gut man sie eben kennen konnte. »Ich glaube schon.«
    »Du kennst die deutschen Frauen, nicht aber die spanischen. Himmelweiter Unterschied. Und Cristina: Noch himmelweiter. Ihr Deutschen wisst nichts über Frauen, gar nichts.« Er reichte Max die Kamera zurück. »Mach mir einen Abzug, schön groß, dass ich ihn aufhängen kann. Dann erzähle ich dir was. Und jetzt kein Wort mehr über Cristina.«
    »Was? Wieso?«
    »Kein Wort, hab ich gesagt.«
    Ein anderer Greis trat heran, im Gegensatz zu Fernando drahtig, Rücken gerade, jeder Zentimeter strahlte Stolz aus, die Augen klug, die Kleidung alt, aber makellos. In der Hand hielt er einen Reserva der Bodegas Campillo, die zur Grupo Faustino gehörte. Der Korken war gelöst, steckte aber noch im Hals.
    »Hallo, Iker«, begrüßte Fernando ihn. »Das hier ist Max. Ein Freund.«
    Iker, wie der berühmte Torwart der spanischen Fußballnationalmannschaft, dachte Max. Ein Mann mit Nerven wie Drahtseile.
    »Trinkt dein Freund auch Wein?«
    »Sonst wäre er nicht mein Freund«, antwortete Fernando.
    Iker entkorkte die Flasche und reichte sie Max. »Weißt du denn überhaupt, was Wein ist, Max?« Er wartete die Antwort nicht ab. »Flüssige Geschichte, das ist Wein. Kennst du ein anderes Lebensmittel, das zehn, zwanzig, dreißig, ja mehr als fünfzig Jahre hält? Nicht wie Whisky oder Schnaps, die sich nicht verändern, die sind konserviert, tot, nein, Wein reift , verändert sich, ist lebendig, wie wir Menschen. Wein ist einzigartig. Er erzählt uns etwas, wenn wir ihn trinken. Wenn er gut ist. Und wir zuhören.« Er grinste. »Was uns bei Frauen so schwerfällt. Hast du eine Frau, Max?«
    »Es gibt da eine, die mich interessiert, sie heißt…«
    Fernando stieß so kräftig gegen die Flasche, dass der Rotwein auf Maxʼ Hose spritzte.
    »He! Was sollte das denn jetzt?«
    »Entschuldige, Max.« Fernando

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