Gran Reserva
Quartier bezogen. Schließlich gehörte zum Weingut auch ein kleiner, pittoresker Windmühlennachbau – direkt neben dem Busparkplatz, auf dem vier klimatisierte Riesengefährte standen, die ihre Fracht bereits zur Abfüllung ausgeladen hatten.
Dem Bau war anzusehen, dass er neu war, die lackierten Dachziegel glänzten. Es war die Puderzuckerversion eines Weingutes, über der genauso ein Schild wie bei Faustino thronte – nur dieses hier schien vergoldet. Faustino war bodenständig. Man sah es dem Weingut an, das Gewachsene, es war authentisch, ungeschminkt.
Dieses hier hatte Silikonbusen.
Sie waren gerade aus dem Jeep gestiegen, als sich am oberen Ende der breiten Eingangstreppen das hölzerne Tor öffnete und ein durchtrainierter, braungebrannter Surfer mit Khakihosen heraustrat und die Hand zum Gruß hob. Sie schickten also einen Praktikanten zum deutschen Fotografen. So viel zum Thema Wertschätzung. Hoffentlich erhielten sie wenigstens eine kurze Audienz beim Herrn der Finsternis, dem Chef dieses feuchten Weinguttraumes.
»Hallo, du musst Max sein. Ich bin David, willkommen in meinem Reich!«
Der Surfer lief die Treppe hinunter, reichte Max die Hand und schlug ihn mit der anderen auf den Oberarm. »Wollt ihr erst mal was trinken oder direkt loslegen mit den Fotos für eure Reportage? Dann würde ich euch zuerst alles zeigen, und wir trinken danach was zusammen. Was meint ihr?«
Er reichte auch Juan die Hand, der sich wie vereinbart als Assistent vorstellte.
»Du siehst genau wie ein anderer Juan aus. Juan Gil de Zámora, der Künstler, hat demnächst eine große Ausstellung im Guggenheim in Bilbao. Soll ein Spitzentyp sein. Du siehst ihm echt tierisch ähnlich. Ich mein, ich kenne ihn nur von Fotos, aber das ist schon irre. Und du bist dir ganz sicher, dass du es nicht bist?«
»Wer weiß schon, wer er wirklich ist«, antwortete Juan lässig.
»Auch wieder wahr. Also: trinken und gucken oder gucken und trinken?«
»Lieber gucken und trinken. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.«
»Na, na!«, sagte David und knuffte Max in die Seite.
Er führte sie in die von großen, unbefüllten Holzfässern umrahmte Probierstube, in deren Mitte ein aufgebocktes Wagenrad stand, auf das eine runde Glasplatte montiert war. Mit geübten Handgriffen stellte David die vier Weine des Gutes darauf: den Francino No. 1, den Francino No. 5, einen Rosé-Francino und einen weißen Francino. Schon mit einer Dioptrie hätte man sie alle für Faustino-Weine halten können.
Max schoss Fotos aus verschiedenen Winkeln, stellte ein Spotlight und einen Reflektor auf und positionierte die Flaschen in eine perfekte Reihe, bevor er wieder abdrückte.
»Mach schnell, sonst wird der Wein warm«, scherzte David, der bereits mit dem Kellnermesser bereitstand. »Ne, Quatsch, dann hol ich neue, lass dir ruhig Zeit.«
»Wo probieren eigentlich die Busladungen voller Touristen?«
David zeigte in alle Himmelsrichtungen. »Wir haben sechs Verkostungsräume, alle identisch, dazu drei größere Säle, in denen wir auch Bankette veranstalten können.«
Es schien Francino gut zu gehen. Doch wenn es ihnen gut ging, dann war dies eine Sackgasse, denn dann gab es keinen Grund, eine Leiche bei der Konkurrenz zu platzieren.
»Bin fertig«, sagte Max und reichte Juan die Kamera zum Verstauen. Der nahm sie jedoch nicht entgegen, sondern griff stattdessen nach einer der Flaschen. »Kommt mir sehr, sehr bekannt vor, das Etikett.«
»Du meinst wegen Faustino?«, fragte David. »Ja, klar. Wenn du erfolgreich bist, wirst du kopiert. Es ist eine Art Kompliment. Unser Wein kostet im Schnitt allerdings einen Euro weniger. Alles legal. Das Etikett ist genau so nah dran, wie es der Gesetzgeber zulässt. Wenn ihr mich fragt: Faustino profitiert davon, denn unser Wein ist klasse. Gut, wir produzieren keinen Gran Reserva, das ist einfach zu aufwendig, aber viele kaufen später auch die Flaschen von Faustino, weil sie denken, unser Wein wäre drin. Eine Win-Win-Situation.«
»Nur dass Faustino zuerst da war und sich das Image hart erarbeitet hat, von dem ihr nun profitiert.«
»Thatʼs life! Wir werden ja auch schon kopiert. Jetzt bauen sie überall schicke Bodegas und kurbeln den Vino-Tourismus an. Insgesamt machen immer mehr Firmen Werbung für Rioja, das hilft allen. Wir müssen halt besser sein als der Rest.«
»Wie laufen die Geschäfte?«, fragte Juan, der langsam Spaß an der Investigation zu finden schien.
Natürlich würde David nicht die Wahrheit
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