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Gran Reserva

Gran Reserva

Titel: Gran Reserva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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wurde ihm klar, dass sich unter Carlosʼ Kleidung ausschließlich Muskeln und Knochen befanden.
    »Die hätte ich beinah gewonnen! Wenn sie mich nominiert hätten.«
    »Ja, klar«, sagte Maria. »Wissen wir doch. Wie damals, als du beinahe Torero geworden bist. Erinnert ihr euch noch, als…«
    Ab da war der Abend für Max gelaufen.
    Sie sprachen über die alten Zeiten, wärmten Anekdoten auf, ein Insider-Witz folgte auf den nächsten. Er war überflüssig, sogar mehr als das, er störte das harmonische Miteinander. Immer wenn er etwas zum Gespräch beitrug, stockte es. Er war der Merlot im Tempranillo-Regal. Zwar stellten sie ihm Fragen, versuchten ihn einzubinden, doch die natürliche Chemie entstand nicht. Max war sich sicher, das lag vor allem an Carlos, der geschickt Sackgassen errichtete oder Abzweigungen nahm, sodass Max verstummen musste.
    Irgendwann war ihm das zu blöd und er verabschiedete sich. Cristina gab er zum Abschied einen Kuss. Geplant war dieser auf den Mund, der Anflugwinkel seiner Lippen war perfekt gewesen – doch die Landebahn hatte sich weggedreht, und er war neben dem Rollfeld zum Stehen gekommen. Cristina wollte sich noch nicht von ihm vor ihrer Cuadrilla küssen lassen. Vermutlich würde sie nach seinem Verschwinden die Bewertungen einholen, wie beim Eistanzen, wo nach der Kür alle gespannt auf die Wertung der Punktrichter warteten.
    Das Ergebnis konnte Cristina gerne für sich behalten.
    Wo war der Grauhaarige mit dem Van-Damme-Gesicht? Scheinbar fort. Gut so. Also nur Paranoia.
    Max brauchte Luft, und er musste gehen. Egal wohin, nur erst mal weg.
    Er zog eine neue Karte zur Sekundenmeditation. »Heute merke ich, wenn ich Glück habe.« Max schnaufte verächtlich. Wollte ihn sein Schicksal hochnehmen? Glück? Wirklich? War es Glück, dass er Cristina getroffen hatte, oder Pech? Beim Lotto wusste man immer direkt, ob man zu den Glücklichen zählte, im Leben stellte es sich häufig erst spät heraus. Manchmal zu spät.
    Vielleicht sollte er das mit Cristina lieber lassen. Vielleicht war es eine Illusion. Genau wie die wahnsinnige Idee, einen Mord aufzuklären. Max war gefrustet und holte sein Handy aus der Innentasche des Leinensakkos, um zu Hause anzurufen. Wen, wusste er noch nicht, vielleicht Esther. So einfach zu gehen, war scheiße gewesen, sich verleumden zu lassen auch, das hatte sie nicht verdient. Sie würde ihn sicher wieder um den Finger wickeln, was sie so perfekt beherrschte wie eine Spinne, die ihr Opfer umspann.
    Doch manchmal fühlte es sich wohlig warm an in einem solchen Kokon. Selbst wenn man wusste, dass man der Nachtisch war.
    Er tippte ihre Nummer ein, als er ein Plakat sah, das für das örtliche Casino warb. Wo man angeblich sein Glück fand. Es waren nur ein paar Schritte bis dorthin.
    Er schaute auf sein Handy, die Nummer stand schon im Display, er musste nur noch die Wähltaste drücken. Doch er blickte wieder auf das Plakat.
    Wenn einem der Himmel irgendwo ein Zeichen sandte, dann wohl auf dem Jakobsweg, schließlich kamen von hier die meisten Anfragen. Und Max befand sich, wie ihm die Abbildung einer Jakobsmuschel zu seinen Füßen bewies, genau auf dem Pilgerpfad.
    Ein kühler Wind strich über seine heiße Stirn.
    Er konnte Esther später immer noch anrufen. Oder auch nicht.
    Es war spät, als er das Electra Rioja Gran Casino betrat, und wenig los. Die Fernseher, die alle paar Meter an den Wänden hingen, waren ausgeschaltet, auf keinem liefen Nachrichten. Max erging es gerade wie im Urlaub, wenn er keine Zeitungen las und keine »Tagesschau« sehen konnte: Er wusste nicht, was in der Welt vor sich ging. Eine Zeit lang empfand er das als charmant, doch irgendwann fühlte es sich stets an, als sei er von der Welt abgeschnitten, als gehörte er nicht mehr dazu. Dann musste er sich dringend auf den neuesten Stand bringen.
    Scheinbar musste er noch ein wenig ohne die Welt auskommen.
    Das Casino war provinziell und hatte mit Las Vegas so viel zu tun wie Helgoland mit Hawaii. Am Roulettetisch saß ein brockiger Mann im Hawaiihemd, mit prächtigem Schnurrbart und Elvis-Sonnenbrille, neben sich ein Glas Rotwein und eine entkorkte Flasche.
    Max setzte sich dazu.
    Der Alkohol musste die Muskulatur des Mannes schon sehr entspannt haben, denn sein Kopf saß so wackelig auf dem Hals, als könne er jeden Augenblick hinunter kullern. Jetzt drehte sich die schwankende Kugel Max zu. »Glück ist ein flüchtiges Element. Zufriedenheit, die kann man erreichen, das ist auch

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