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Gran Reserva

Gran Reserva

Titel: Gran Reserva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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sagen. Geschäfte liefen immer gut. Es sei denn, das Finanzamt fragte, dann liefen sie miserabel.
    »Geht so«, antwortete David. »Die Auslandsmärkte sind zur Zeit schwierig, vor allem England, da reißen meine Landsleute sich alles unter die Nägel.«
    »Australier?«, fragte Max, der den Akzent schon bemerkt hatte.
    »Wow, bin beeindruckt, Kumpel. Adelaide, um genau zu sein. Hab da am Roseworthy College Weinbau studiert und später bei Penfolds unter Peter Gago gearbeitet, bevor es mich hierher verschlagen hat. Bin jetzt seit zwei Jahren hier, und nächstes Jahr wollen wir richtig durchstarten. Wer weiß, vielleicht ist Faustino irgendwann froh, dass ihr Name wie Francino klingt und nicht mehr umgekehrt.«
    »Wem gehört die Bodega eigentlich?«, fragte Max, während David den ersten Wein, einen weißen, einschenkte. Er war so kühl, dass er nicht nach viel schmeckte. »Auch Australiern?«
    »Ihr werdet lachen: einem anderen Zweig der Firma Martinez – also den Besitzern von Faustino. Über achtzehn Ecken verwandt.«
    »Gab es da keinen Ärger?«
    David zuckte mit den Schultern und öffnete den Rosé. »Muss mich nicht scheren. Ich muss nur zusehen, dass der Wein gut wird. Und das heißt: modern, weich, fruchtig, zugänglich – und jedes Jahr gleich.«
    »Also wie Coca Cola«, konnte sich Max nicht verkneifen zu sagen.
    »Genau«, sagte David, kein bisschen beleidigt. »Die machen auch einen Superjob. Im Weißen war übrigens die typische Rioja-Rebsorte für hellen Wein, also Viura. Der Rosé, den ihr jetzt bekommt, ist aus achtzig Prozent Tempranillo und zwanzig Prozent Garnacha – genau wie der Faustino VII. Unserer heißt aber eben Francino XII und ist ein flüssiges Fruchtbonbon.«
    Das traf es. Er musste für Weintrinker mit dem Gaumen eines Kleinkindes gedacht sein. Die beiden Roten, die nun folgten, waren nur unwesentlich kantiger. Vermutlich konnten Francino-Weine zum Abstillen verwendet werden.
    »Und? Was meint ihr?«
    Juan stellte sein Glas ruckartig ab. »Ganz ehrlich? Da kann ich auch Fruchtsaft trinken.«
    Auf Davids gebräuntem Gesicht erschien ein breites Grinsen. »Der dreht aber nicht so!« Er lachte laut auf. »Ich mag deine Art, nimmst kein Blatt vor den Mund, sehr australisch. Ich muss euch was zeigen.«
    Er führte sie in sein Büro und rief die Homepage des Gutes auf. »Ich brauch neue Fotos, und zwar was Dynamisches, Hippes, wir müssen ein bisschen weg vom Alten und neue Kundenkreise ansprechen. Kriegst du so was hin? Hast du eine Homepage, wo man sich deine Sachen anschauen kann?«
    Max nannte sie ihm.
    Als David sie aufgerufen hatte, ließ er einen anerkennenden Pfiff erklingen. Und gleich noch einen. »Leck mich am Arsch. Du hast ja mit allen gearbeitet, Supermodels, Hollywoodgöttinnen, Politiker, sogar dem Hund von Paris Hilton, du bist ein verdammter Starfotograf. Was machst du in der Rioja?«
    »Weingüter fotografieren. Und Reben. Das ist meine Art von Urlaub.«
    »Kann ich mir dich überhaupt leisten?«
    Max kannte diese Frage. Ebenso die Antwort. Sie kotzte ihn an. »Kann es sich dein Weingut leisten, schlechte Fotos zu haben?«
    David stand auf und reichte ihm die Hand. »Ich krieg das finanziert. Und jetzt zeig ich dir, was du so richtig geil in Szene setzen musst.«
    Nach der Führung durch das Gut fiel Maxʼ Blick beim Hinausgehen auf eine Glasvitrine, in der Gläser standen, leere Francino-Weinflaschen sowie einige errungene Weinmedaillen. In der untersten Etage lag ein Jakobsweg-Abzeichen, verkrustet mit Dreck. Die Flasche, die danebenstand, war so gedreht, dass ihr Etikett nicht zu sehen war. Doch Max erkannte an der Halskapsel, dass es eine Flasche Faustino war.
    Er würde David danach fragen, wenn er sein Vertrauen vollends gewonnen hatte.

Kapitel 4

    1984 – Ein sehr durchschnittlicher Jahrgang. Uninteressant. Nur zwei Prozent des Weins wurden zu Gran Reservas.
    Cristina hatte ihm ihre Adresse nicht gegeben. Er sollte sie dort auflesen, wo er sie beim letzten Mal abgesetzt hatte. Sie musste sein Murren gehört haben, doch sie reagierte nicht darauf. Selektive Wahrnehmung war also nicht nur eine Stärke deutscher Frauen.
    Max war zu früh in La Bastida, was ihm erst auffiel, als er den Jeep am staubigen Straßenrand parkte, wo die sengende Sonne das schwarze Blech innerhalb weniger Minuten auf Backofentemperatur erhitzen würde. Die Zeit, seit Jahren allgegenwärtig für ihn, sekundengenau sein Leben taktend, hatte sich in La Rioja aufgelöst wie eine Badekugel im

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