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Gran Reserva

Gran Reserva

Titel: Gran Reserva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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reichte ihm ein altes, gebrauchtes Papiertaschentuch und lehnte sich zu ihm rüber, ganz nah an sein Ohr. »Iker ist Cristinas Großvater. Sag bloß nichts Falsches, sonst war es das. Am besten, du sagst gar nichts und haust lieber ab. Ich erzähl was Gutes über dich, mir fällt schon was ein.« Wer hätte gedacht, dass der alte Mann plötzlich so gesprächig sein konnte. Iker schien so in seine Gedanken vertieft, dass er das Flüstern der beiden gar nicht bemerkt hatte. Fernando sprach laut weiter. »Du musst doch zu deinem Termin, Max. Nett, dass du hier mit zwei alten Geiern wie uns sitzt, aber jetzt mach dich auf, wir kommen auch ohne dich klar.«
    »Stimmt ja. Der Wein ist übrigens phantastisch, danke dafür.«
    »Gern«, sagte Iker. »Hab ich gemacht, den Wein. Da muss er ja gut sein.«
    Mit einem Lachen verabschiedete sich Max, keinen Augenblick zu früh, denn Cristina wartete bereits an der Ecke auf ihn.
    Sie sah phantastisch aus, was Max ihr auch sagte. Ihr Rock ging bis zu den Knien, nicht eng, sondern luftig, Bluse und lackglänzende Schuhe waren auf eine mädchenhaft verspielte Weise perfekt aufeinander abgestimmt. Max wusste, wovon er sprach. Cristina hatte ein Gefühl für Mode, ohne dass es angestrengt aussah. Sie hatte Stil, kombinierte Grau- und Schwarztöne, welche ihre blasse Haut und ihre dunkelbraunen Augen perfekt unterstrichen. In ihrem dunklen Haar waren jetzt sogar rote Farbreflexe zu erkennen. Der Pferdeschwanz war streng nach hinten gekämmt, der Pony fiel in perfekter Linie über ihre Augenbrauen. Max verspürte den Drang, ihr eine vorwitzige Haarsträhne glattzustreichen, wie er es bei Fotosessions oft machte, wenn kein Stylist anwesend war.
    Doch eigentlich war es so viel schöner. Perfekt unperfekt.
    Der leichte Wind spielte mit ihrem Haar. Vielleicht war er ja extra dafür angereist. Wäre Max ein Wind, er hätte sogar den weiten Weg aus Deutschland auf sich genommen.
    Die Begrüßung fiel trotz Küssen auf die Wangen – zweien und nicht wie in Frankreich dreien – eher nüchtern aus. »Wo geht es hin?«, fragte Max.
    »Nach Logroño, wir treffen Freunde.«
    Also kein romantisches Candlelight-Dinner. Party. Nun ja, ihm war gesagt worden, er sei gut darin. Trotzdem blickte Max kurz auf das Regenradar, das seine Hoffnung ein weiteres Mal enttäuschte. Kein Wolkenbruch würde diesen Abend in ein richtiges Date verwandeln, weil sie die ganze Nacht im Wagen sitzen mussten, um nicht bis auf die Knochen durchnässt zu werden. Wo waren die spanischen Regenwolken, wenn man sie mal brauchte?
    Max war froh, dass Juan mit ihm durch die Tapas-Bars gezogen war. Jetzt kannte er den Verhaltenskodex, hatte sich an die Enge und die Lautstärke gewöhnt und wusste, wie viel Alkohol man trinken konnte, ohne als Säufer abgestempelt zu werden. Viel. Und wie viel man essen durfte, um nicht als gefräßig zu gelten. Ebenfalls viel.
    Die Freunde waren zu viert, sie warteten schon, und sie wussten Bescheid: Maria (klein, blond und hager, aber mit einer Stimme wie ein ganzer Frauenchor), Elena (eine Matrone, ebenso rundlich wie herzlich, die Welt und ihn umarmend), André (der Stille, ein Zwei-Meter-Mann, gekleidet, als sei er farbenblind) und Carlos.
    Manche Menschen schloss man auf den ersten Blick ins Herz.
    Carlos nicht.
    Zumindest Max nicht.
    Carlos war unverschämt gut aussehend, auf eine gegelte, südländische, braungebrannte, breitschultrige Art. Seine schwarzen Haare waren lockig, sein Kinn kantig, sein Bart maskulin, exakt drei Tage alt. Er war zum Kotzen. Carlos lächelte breit, als er Max die Hand schüttelte, doch seine Augen lachten nicht, sie fixierten, taxierten, und Max wurde klar, dass Carlos nicht irgendein Freund war, sondern dass auch er mehr für Cristina empfand. Wie er sie bei der Begrüßung umarmte, diesen Hauch zu lange, wie er ihr in die Augen blickte, diesen Tick zu tief, wie er über ihren Witz lachte, diese Prise zu viel. Carlos, du machst keinem was vor. Die neue Konkurrenz aus Deutschland passte ihm sicherlich nicht in den Kram. Zeigen durfte er das natürlich nicht. Max kannte diesen Typ Mann. Carlos würde bestimmt damit beginnen, gegen ihn zu intrigieren und den Rest der Cuadrilla, Cristinas Clique, gegen ihn aufzustacheln. Max war auf Anhieb klar gewesen, dass dies nicht irgendwelche Freunde waren, sondern die engsten. Die Art, wie sie sich begrüßten, diese natürliche Herzlichkeit, wenn sie sich zur Begrüßung auf die Wangen küssten, ein hundertfach vollzogener

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