Gran Reserva
schon schwierig genug. Aber Glück?«
Die weinbelegte Stimme des Mannes zog Schlieren in der Luft, doch Max wusste, dass die Worte zwar vom Alkohol emporgespült worden waren, doch vorher lange Zeit zum Reifen gehabt hatten.
»Kaum ist das Glück da, ist es schon wieder weg«, fuhr der Mann fort. »Nur die Liebe lässt es einen länger erleben – aber eben auch nicht für immer. Und danach weiß man erst richtig, was einem fehlt. Da fragt man sich doch, ob man besser ohne Glück dran ist, oder?«
Das Orakel von Delphi war er sicher nicht. Aber für Logroño ein ordentlicher Anfang.
»Was machen Sie?«
»Ich gewinne.«
»Sie sehen aber nicht so aus.«
»Wieso?«
»Menschen, die gewinnen, freuen sich normalerweise.«
»Tu ich doch. Ich tanze innerlich.«
Er reichte ihm die Hand. »Ich bin Max.«
»Timothy. Timothy Pickering. Nenn mich Tim, tun alle. Willst du was trinken? Hab einen 2001er Ygay Reserva Especial von Murrieta auf.«
»Gerne. Ich hol mir ein Glas.«
»Quatsch nicht«, er hob die Hand und gröhlte in den Raum. »Ein Glas für meinen Kumpel! Wir müssen meinen Gewinn feiern!« Er blickte Max an, die Augenlider hingen wie ausgeleierte Rollläden über seinen Augen. »Oder willst du etwa einen jungen Rioja trinken, was?«
»Nein, danke. Ich bin froh, mal was Gereiftes im Glas zu haben. Gerade um die Uhrzeit.«
»Richtige Antwort. Du gefällst mir. Kannst mich Tim nennen.«
»Danke. Tun alle. Tim.«
Er spielte weiter. Und gewann weiter. Nicht immer, aber oft genug. Für Tims Laune war es allerdings völlig einerlei.
Max genoss den alten Murrieta, der ihn mit seinem Duft nach Rindsleder und altem, teurem Holzschrank an seinen allerersten Gran Reserva von Faustino erinnerte. Er erzählte Tim von diesem besonderen Tropfen.
»Hör mir auf mit Faustino! Da will ich nix von hören.«
»Wieso? Die Weine sind doch hervorragend. Vor allem der Gran Reserva. Klassischer, alter Stil.«
»Klar ist der gut, scheiße ja, verdammt gut sogar, aber versuch mal an einen 64er zu kommen. Einen 64er! Damals erhielt Martin Luther King den Friedensnobelpreis, Nikita Chruschtschow haben sie vom Hof gejagt, und Nelson Mandela wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Sarah Palin wurde geboren, Cole Porter starb. Und hier in Rioja hielt Gott höchstpersönlich seine Hand über die Trauben. 1964, das ist der größte Jahrgang, den es hier je gab!« Er kippte sich nach. »Versuch mal einen 64er von Faustino zu kriegen, ehrlich! Kannst du total vergessen. Zum Kotzen.«
Er gewann wieder – und merkte es gar nicht. Den Gewinn ließ er einfach auf Rot liegen.
»Die sind doch sehr nett bei Faustino.«
»Nett? Nett ? Nett ist, wenn einem die Putzfrau aus dem Urlaub schreibt. Aber ist es nett, wenn man sich weigert, jemandem etwas zu verkaufen, obwohl der einen guten Preis zahlt? Findest du das nett?«
»Ne.«
»Siehste! Du bist in Ordnung! Darfst mich Tim nennen.«
»Danke. Tun alle. Tim.« Er stieß mit Tim an, den er nun Tim nennen durfte. Gleich dreifach. Tim. Tim. Tim. Super. Dieser Abend war doch noch ein großer Erfolg geworden.
»Und, Tim, was meinst du, Tim, wer den Mann im Ebro umgebracht hat? Tim?«
»Den vom Jakobsweg?« Timothy, von allen seinen Freunden Tim genannt, wurde still. »Da weiß ich nichts drüber. Gar nichts.«
»Du musst doch eine Meinung dazu haben?«
»Scheiße, wieso denn? Muss ich zu jedem Dreck eine Meinung haben? Muss ich nicht! Der alte Sack kann mir gestohlen bleiben.«
»Recht hast du, Tim.« Max hob das Glas, um mit ihm anzustoßen.
»Timothy für dich, klar?«
»Timothy. Ich heiße Maximilian.«
Was für ein Scheißabend.
Und auf dem Regenradar war immer noch nichts zu sehen.
Kapitel 5
1964 – Der größte Jahrgang des 20. Jahrhunderts in Rioja, unwahrscheinlich komplexe Gran Reservas, die hervorragend reifen. Im Juli wenig Regen, der August war heiß, der September bot sonnige Tage und kühle Nächte. Perfekte Bedingungen für die Traubenreife.
Alter Rioja mochte anders sein als junger – doch Alkohol besaß auch er, und je mehr man trank, desto mehr davon landete im Blutkreislauf. Überraschenderweise hatte Max keinen Kater. Bis auf die fünf neben seinem Bett, dazu kamen zwei Katzen und noch mal zwei junge Kätzchen. Auch der große, sandfarbene Kater Yquem war wieder da, er saß am Fußende des Bettes und sah Max an. Als der sich aufsetzte, maunzte Yquem.
»Morgen«, sagte Max, weil es die Höflichkeit gebot. »Gut geschlafen? Ich nicht. Hunger?«
Der Kater
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