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Gran Reserva

Gran Reserva

Titel: Gran Reserva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Bastide und warte vor ihrem Haus, bis sie kommt.«
    »Kann ich dich auf irgendeine Art davon abbringen?«
    »Nein. Und wenn Carlos kommt: Nicht aufmachen!«
    »Sag bloß! Da wär ich ja von allein nie drauf gekommen. – Pass gut auf dich auf.«
    »Du auch auf dich. Und entschuldige tausendmal, dass ich dich in den ganzen verdammten Mist mit reinziehe.«
    »Red keinen Blödsinn. Ich amüsiere mich prächtig. Außerdem bist du mein Freund. Du musst dich nicht entschuldigen und auch nicht bedanken. Freunde, Max. Du würdest dasselbe auch für mich tun.«
    Da hatte er recht, dachte Max. Jederzeit.
    Es war verdammt gut, einen solchen Freund an seiner Seite zu wissen.
    Max saß keine drei Minuten in seinem vor Cristinas Haus geparkten Jeep, als ihm klar wurde, dass ihn nur eine lächerlich dünne Glasscheibe von einem wütenden Carlos trennte, sollte der zufällig vorbeikommen. Was nicht unwahrscheinlich war, denn Carlosʼ Leben drehte sich anscheinend immer noch um Cristina. Dem Mann war Stalking zuzutrauen.
    Doch nichts passierte in der Nachmittagshitze La Bastides.
    Und das ging Max ziemlich schnell ziemlich auf den Keks.
    Nichtstun und Abwarten, obwohl seine Nerven bis zum Bersten gespannt waren. Er musste sich bewegen, auch wenn das hieß, die Sicherheit seines Jeeps zu verlassen. Der Innenraum des Wagens kam ihm mittlerweile vor wie die Zelle in der Untersuchungshaft.
    Die frische Luft, so heiß sie auch sein mochte, tat ihm gut. Er ging ein paar Schritte und schoss Fotos. Zuerst führte ihn sein Weg bis zum Nachbarhaus, dann wieder zurück, bis zum zweiten Nachbarhaus, und das nächste Mal ging er bis zur Ecke, bevor er umkehrte. Bis zur nächsten Straße. Und plötzlich landete er wieder auf dem kleinen Platz vor dem Rathaus. Wie immer saß Fernando davor. Er rauchte so langsam und genüsslich, als sei der mickrige, stinkende Stummel zwischen seinen brüchigen Lippen die wertvollste Zigarre der Welt.
    »Du gehst so gebeugt, als hättest du Kummer, Max.«, begrüßte er ihn. »Zieh mal an meiner Zigarre, das beruhigt.«
    Max hatte vor acht Jahren mit Zigarren aufgehört. Jetzt zog er den Rauch wieder ein. Er hatte den Eindruck, dass der Qualm sämtliche Karieserreger in seinem Mund im Bruchteil einer Sekunde abtötete. Bevor er anfangen konnte, den Zahnschmelz wegzuätzen, pustete er ihn wieder aus und reichte Fernando die Zigarre zurück.
    »Ist es wegen Cristina? Es ist doch immer wegen der Frauen. Der meiste Kummer, aber auch das meiste Glück. Außer Wein und gutem Essen und Zigarren natürlich.« Er paffte wieder genüsslich. »Glaub mir, wir ärgern uns über Geld, Arbeitskollegen, Politiker, die Ungerechtigkeit der Welt, aber im tiefsten Herzen, genau hier«, er stieß mit dem Zeigefinger auf Maxʼ Brustkorb, »da treffen nur sie uns. Alles andere ist da.« Diesmal bohrte er den Finger, der hart war wie ein versteinerter Ast, in Maxʼ Schläfe.
    »Es ist wegen ihrem Ex-Freund, Carlos.«
    »Ach, Carlos! Ja, das kann ich mir denken. Habe ich dir eigentlich schon erzählt, dass ich Cristinas Lehrer war? Und auch der von Carlos? Sie waren in einer Klasse. Ich weiß wirklich nicht mehr, ob ich es dir erzählt habe, kann mich nicht so gut daran erinnern, was gestern oder letzte Woche war. Aber Sachen, die vor drei, vier Jahrzehnten passierten, sind frisch wie eh und je. – Hast du eigentlich noch mehr Fotos von La Bastide geschossen? Ich würde gerne noch welche sehen. Durch deine Fotos, durch dein Auge, sehe ich meine Heimat ganz neu.«
    Max ließ ihn die Fotos sehen, die er eben geschossen hatte, und war selbst überrascht, dass es dreiundsiebzig waren.
    »Es ist erstaunlich«, sagte Fernando, »aus wie vielen Perspektiven man Cristinas Haus fotografieren kann.« Er lächelte. »Und es sieht doch immer gleich aus.« Nun schaute er Max an. »Du musst sehr verliebt sein. Ich merke, dass deine Gefühle echt sind. Wenn man so alt ist wie ich, spürt man das. Da ist ein Unterschied zwischen Begehren und Liebe. In der Jugend sieht man das nicht, zu nah liegen die beiden beieinander, und doch ist der Unterschied riesig. Aber ich weiß nicht, ob eure Liebe eine Chance hat, Max. Ihr seid sehr unterschiedlich. Neulich hast du mich um einen Rat gebeten, und wenn ich dir etwas raten soll, dann: Lass sie ziehen. Glaub mir, es ist besser so. Ich kenne sie, seit sie so klein war.« Er deutete mit seiner Hand auf die Höhe seines Knies. »Dich kenne ich erst seit wenigen Tagen. Aber wie lange braucht man, um einen Menschen zu

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