Gran Reserva
Können wir das nicht verstehen? Haben wir nicht die wunderbarsten Frauen ganz Spaniens? Ich weiß, was du für Cristina empfindest, immer schon, ja bereits in der Schule. Meinst du, ich hätte nie gesehen, wie ihr zwei hinter dem Schulhaus geknutscht habt? Hältst du mich etwa für so dumm?«
Carlos blickte verschämt auf den Boden.
»Ich habe nichts gesagt damals. Und dafür kannst du mir ausgesprochen dankbar sein! Aber jetzt sage ich etwas, und zwar nur einmal: Lass Max in Ruhe, du dummer Junge!« Fernando trat auf Carlos zu und griff sich dessen Ohr. »Das habe ich damals schon mit dir gemacht, wenn nur Unfug in deinem Kopf war, und heute kann ich es immer noch.« Er zog Carlosʼ Kopf am Ohr hinunter und schüttelte ihn. »Ist der Unfug jetzt rausgefallen, Carlos? Ist er raus?«
»Ja, Señor Colón. Er ist raus.«
»Dann geh nach Hause. Und gewinne für uns das Rennen am Sonntag! Wir drücken dir alle fest die Daumen. Zeig es Ihnen!«
»Ja, Señor Colón.«
»Und jetzt fort, und schlaf dich aus. Du brauchst den Schlaf. Mach schon!«
»Ja, Señor Colón.«
Und damit verschwand Carlos.
Fernando trat neben Max. »Kannst du alleine aufstehen?«
»Ja, dank Ihnen kann ich das noch.«
»Carlos war schon immer ein dummer Junge. Mehr Kraft als Hirn.«
Max rappelte sich auf. Er konnte keine Stelle an seinem Körper ausmachen, die nicht schmerzte. »Viel zu viel Kraft, wenn Sie mich fragen.« Vermutlich würde er seine natürliche Hautfarbe vor lauter blauer Flecken nicht mehr erkennen können.
»Nimm ein kühles Bad«, riet Fernando. »Aber jetzt trinkst du erst mal einen Mono Seco, einen Anisschnaps. Ich lad dich ein.«
»Nein, ich muss Sie ja wohl einladen. Zum Dank. Ohne Sie wäre ich jetzt nur noch Brei. Es geht alles auf meine Rechnung.« Er legte den Arm um Fernando.
»Max?«
»Ja?«
»Was Cristina angeht.«
»Ja?«
»Du hast meinen Segen.«
Anderthalb Stunden später lag Max angetrunken in Juans großer, frei stehender Badewanne, deren Füße wie Löwentatzen geformt waren. Den Rest der Flasche Anisschnaps hatte Max mitgenommen und in die Badewanne geschüttet. Sollte schließlich gesund sein. Wofür auch immer. Das warme Wasser tat gut. Max schloss die Augen und tauchte unter. Es rauschte in seinen Ohren. In dieser anderen Welt unter Wasser konnte er endlich alles hinter sich lassen, und sei es nur für die Dauer eines Atemzugs.
Als Max wieder auftauchte, hatte sich die reale Welt verändert. Entscheidend verändert.
Er war nicht länger allein im Bad.
Der eine Besucher hatte viel Fell und schnurrte genüsslich. Es war Yquem, der gerade liebevoll gestreichelt wurde.
Sein zweiter Besucher hatte zum Glück weniger Fell. Es war Cristina.
Max dachte kurz darüber nach, seine Familienjuwelen schnell mit beiden Händen zu bedecken, wie man das immer in Filmen sah, fand es dann aber doch zu affig. »Cristina? Du hier?«
Sie hob den Kater auf den Arm und streichelte ihn weiter, nun allerdings nicht mehr ganz so zärtlich wie gerade eben. Sie unterdrückte augenscheinlich eine innere Wut. »Du warst heute bei mir? Schau nicht so unschuldig, die Nachbarn haben dich gesehen.«
»Darf ich dich nicht besuchen?«
»Es wäre mir lieber, du würdest mir vorher Bescheid sagen. Es gibt schnell Gerede.« Der Kater drehte sich in ihren Armen auf den Rücken. »Aber immerhin musste ich dich diesmal nicht bei der Polizei auslösen.« Nun war ein kleines Lächeln in ihren Mundwinkeln zu erkennen.
»Das ist doch schon mal was.«
»Wo hast du die ganzen blauen Flecken her?«
»Ich bin gefallen.«
»Dann musst du aber sehr unglücklich gefallen sein.«
»Oh ja. Viel unglücklicher kann man nicht fallen.«
»Tut mir wirklich leid für dich. Beim nächsten Mal passt du besser auf, ja?«
»Versprochen.«
Sie kraulte den Kater am Kopf, dann blickte sie wieder zu Max.
»Du bist mit einem Mann gesehen worden.«
»Ja, Fernando Colón. Und später war ich noch mit Carlos…unterwegs.«
Yquem räkelte sich genüsslich. Cristina wusste offensichtlich, was sie tat. Max ertappte sich bei dem Gedanken, mit dem Kater tauschen zu wollen.
»Carlos? Ihr habt euch getroffen?«
»Ja, wir haben uns getroffen. Er mich, um genau zu sein…«
Cristina verstand die Doppeldeutigkeit nicht – oder überging sie bewusst, setzte sich auf den Wannenrand und ließ ihre Hand ins Wasser gleiten. »Some like it hot. And some like it cold.« Sie benetzte mit der Zungenspitze ihre Lippen, als stünde eine wichtige Rede bevor. Ein
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