Gran Reserva
geöffnete Glastür geklebt worden, die heute Wind und Gäste ins Innere ließ. Es warb für ein Radrennen und zeigte drei Fahrer, die aus dem Sattel gegangen waren und sprinteten, ihre Gesichter verzerrt vor Anstrengung. In Führung lag ein Mann mit zusammengekniffenen Zähnen, der fast aus dem Bild zu springen schien: Carlos.
Und es war wieder letzte Nacht, und er spürte abermals Carlosʼ Unterarmknochen an seinem Adamsapfel.
Um sich von diesem Gedanken abzulenken, schoss Max ein paar Fotos, nachdem er den Besitzer gefragt und dieser mit einem kurzen Nicken zugestimmt hatte. Max suchte Details, fotografierte Tassen, heißen Kaffeedampf, die köstlichen Tapas, fotografierte den Platz über die Schulter eines Gastes, und mit jedem Foto ging es ihm ein wenig besser. Doch in die Nähe des Plakates trat er nicht mehr.
Irgendwann ging es ihm wieder so gut, dass er sich auf einen der rot gepolsterten Hocker am Tresen fallen ließ. »Und, wird nächste Woche die Batalla stattfinden, jetzt, wo Pepe Salinas tot ist?«
Die Säufernase sah ihn ernst an. »Die Batalla findet immer statt, da können so viele sterben, wie sie wollen. Die Batalla fällt niemals aus. Und wenn ich der Einzige bin, der auf den Hügel steigt! Hier, Ihr Kaffee, sehr heiß.«
Max setzte die Tasse an. Er wollte den leichten Schmerz der Hitze an seinen Lippen spüren. Der Kaffee war hervorragend. »Salinas hat ja wohl einen guten Job gemacht, wie man so hört.«
»Hat er, ja. Aber dass ein Baske diesen Job bekam, nun, man war…verwundert. Ein guter Mann, keine Frage. Und er ist ja auch nur im Baskenland geboren worden und schon mit sechs Jahren mit seiner Familie zu uns gekommen.«
Max trank einen weiteren Schluck des herrlich starken Kaffees. »Aber es braucht ein paar Generationen, bis man wirklich dazugehört?«
Als Antwort erhielt er nur stummes Nicken.
»Bürgermeister Santamaria wird nicht unbedingt traurig gewesen sein…«
Die Säufernase schniefte. »Nein, bestimmt nicht. Er hat ja direkt einen seiner Leute installiert, als sich die Chance ergab. Auch einer von Faustino, als hätten wir keine Weingüter hier in Haro! Und es ist eine Frau.« Dem Mann hinter dem Tresen war anzumerken, dass ihm das noch weniger gefiel. »Unser Bürgermeister denkt halt an die weiblichen Wählerinnen, der weiß schon, wie man mit der Zeit geht.«
»Wie heißt sie denn? Ich war letztens bei Faustino«, Max hob seine Kamera empor, »fotografieren.«
»Ines Sastre. Sehr junge Frau, sehr attraktiv, sehr klug. Genau Santamarias Typ.« Er lehnte sich über den Tresen. »Wobei eigentlich alles, was einen Rock trägt und einen Puls hat, der Typ unseres Bürgermeisters ist. Wollen Sie was essen? Kleinigkeit?«
Max hörte, was sein Bauch sagte. Der wollte noch nicht. »Später. Die ganzen Toten hier schlagen einem ja auf den Magen.«
»Ach was! Essen muss immer sein. Solange man noch kann.« Der Barbesitzer lachte, und der Mann neben Max am Tresen lachte mit, obwohl er ganz offensichtlich nicht wusste, warum eigentlich. »Dieser Tote, den sie im Ebro gefunden haben, der war auch hier, hat genau da gesessen, wo Sie jetzt sitzen«, sagte er.
»Hat einfach einen Café con hielo getrunken. Wollen Sie auch einen?«
»Ja, gern.« Ein Eiskaffee war jetzt genau das Richtige. Was er bekam, war jedoch ein Espresso mit einem Eiswürfel. Und dazu ein Glas Wasser. Andere Länder, andere Sitten. Er stürzte ihn trotzdem herunter. Der spanische Eiskaffee tat verdammt gut.
»Er suchte wohl einen Verwandten oder einen Bekannten, also dieser Tote. Aber den Namen hatte hier noch nie einer gehört. War irgendwas Baskisches. Er wollte weiter zu Yuso und Suso – aber da ist er dann wohl nie angekommen.«
Max stimmte zu, er wollte sein Wissen lieber nicht an die große Glocke hängen. »Nein, vermutlich nicht.«
»War sehr nervös, der Bursche. Trank drei Kaffees. Das war der Tag, als auch dieser verrückte Amerikaner hier war. Zu jeder der großen Bodegas ist er gegangen – wegen gereiften Gran Reservas. Bei einigen muss er geradezu gebettelt haben. Der hat den armen Alten ganz schön zugequatscht. Ist das Ihr Handy?«
Erst jetzt hörte Max es, er hatte sich noch nicht an den Klingelton des neuen Handys gewöhnt. Wo hatte er das verdammte Ding bloß hingesteckt?
»In ihrer Hosentasche!« Max fingerte es hektisch heraus. Hoffentlich sprang jetzt nicht die Mailbox an. Die Nummer hatte er nur Juan und Cristina gegeben. Er drückte auf den grünen Knopf zum Abnehmen.
»Jetzt
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