Gran Reserva
was drin steht, Padre?«
»Ungeduld ist keine Tugend.«
Genau mittig auf dem Schreibtisch des Priesters lag der Brief, daneben ein Öffner. Sonst nichts.
»Das ist er?«
Padre Loba reichte ihn Max. »Bitte.«
Ohne zu zögern, riss Max den Umschlag mit dem Zeigefinger auf, nahm den Brief heraus und las ihn. Nur für sich.
Wenn ich tot bin, werde ich aller Voraussicht nach ermordet worden sein. Auch wenn es nicht danach aussieht. Der Grund meines Todes ist, dass ich ein Attentat auf unseren König Juan Carlos I . verhindern wollte. Ich bete darum, dass dieser Brief Sie rechtzeitig erreicht, doch ich vertraue auf die Weitsicht von San Millán, ihn zum richtigen Zeitpunkt in die richtigen Hände zu führen. Das Attentat soll beim Besuch unseres Königs auf den Bodegas Faustino stattfinden. Verhindern Sie dieses Unglück! Der König darf die Bodega auf keinen Fall betreten! Gott schütze ihn, trotz allem, was er getan hat.
Alejandro Escovedo
Max reichte den Brief Padre Loba, der ihn sogleich leise vor sich hin murmelnd las. »Und was nun?«
»Wir müssen ihn natürlich der Polizei übergeben.«
Padre Loba schüttelte entschieden das Haupt. »Dann haben wir hier Fernsehen, Zeitungen, Radio, Unruhe, eine solche Publicity möchten wir nicht. Sie passt nicht nach Yuso.«
»Die Polizei muss davon erfahren! Das Leben des Königs steht auf dem Spiel.«
»Dies ist ein Ort der Ruhe. Ich kann das nicht zulassen und würde alles abstreiten, wenn Sie der Polizei melden, dass dieses Schreiben hier gefunden wurde.«
»Aber Padre, das Leben des Königs! Ist das nicht wichtiger als Ihre Ruhe? Das kann doch jetzt nicht wirklich Ihr Ernst sein!«
Padre Loba versenkte das Gesicht in den Händen. »Meine erste Verantwortung gehört dem Kloster. Wer weiß, ob überhaupt stimmt, was in dem Brief steht und es nicht bloß die Wahnvorstellung eines alten Mannes ist?«
»Eines ermordeten Mannes, Padre!«
»Nicht jedes Attentat ist erfolgreich.«
»Wollen Sie dafür beten?«
»Ja, das will ich. Und das werde ich. Nehmen Sie den Brief, und gehen Sie, ich will ihn nicht mehr im Kloster haben. Verstehen Sie mich doch bitte.«
Max griff sich den Brief. »Dann adiós, Padre. Und alles Gute für Ihr Seelenheil. Möge Ihr Gott Ihnen verzeihen, sollte es doch nicht nur Escovedos Wahnvorstellung gewesen sein.«
Mit den Worten »Die Welt ist bekloppt!« stürmte Max eine halbe Stunde später in Juans Haus. Anna-Maria war fort, jetzt lag eine Blondine auf dem Futon und trank Wein, direkt aus der Flasche, beobachtet von einem knappen Dutzend Katzen.
Sie stellte sich als Anna-Maria vor. Schon wieder eine.
Max stellte sich als Max vor und ging in sein Zimmer.
Übermorgen traf der König ein und würde möglicherweise ermordet werden. Zwei andere Menschen waren bereits tot, und niemand wusste, wer dahintersteckte. Die Frau, in die er Hals über Kopf verliebt war, hatte ihn gebeten, sich nicht darum zu kümmern, war heulend weggelaufen und außerdem unauffindbar.
Ja, das fasste es gut zusammen.
Wein war keine Lösung, aber auch kein Problem. Max ging zurück ins Wohnzimmer, und die blonde Anna-Maria reichte ihm die Flasche, an der sie gerade noch genüsslich genuckelt hatte. Max nahm einen Schluck, floral-parfumierte Nase, wunderbar weicher, süßer Stoff, karamellig, nussig, herrlich leichtgewichtig am Gaumen, sehr delikat. Reifer Rioja in Reinkultur. Mit wunderbarer Länge und unfassbar unaufdringlicher Harmonie.
Das war groß.
Max schaute auf das Etikett.
Ein 1964er Gran Reserva 890 von La Rioja Alta.
Das konnte doch nicht wahr sein!
»Juan? Wo hast du den Wein her?«
Der Freund trat aus dem Badezimmer, sich die Haare trocken rubbelnd. »Na, aus deinem Zimmer, aus dem Alukoffer. Dachte, du hast bestimmt nichts dagegen, oder? Den Jahrgang kannte ich übrigens von La Rioja Alta noch gar nicht.« Juans Stimme hatte das weiche Lallen von viel gutem Wein. Max erspähte weitere leere Flaschen neben dem Futon.
»Wie viele hast du schon aus dem Koffer genommen?«
»Ach, weißt du, so was zähl ich nicht. Wenn das ein Problem ist, kann ich sie dir natürlich ersetzen. Ist es denn ein Problem?«
»Sie gehören nicht mir.«
»Ach so. Das tut mir leid, sag dem Besitzer, er soll sich an mich wenden. Kann ich den Rest aus der Flasche haben?« Max reichte sie ihm. »Weißt du, wen ich für den Mörder halte, Max?«
»Nein, Juan. Weißt du , dass alles irgendwie immer und immer schlimmer wird in meinem Leben?«
»Ach was! Das kriegen wir
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