Gran Reserva
durch und rieb sich über die Stirn, als wäre er gerade gegen eine Wand gelaufen und würde den Schmerz des Aufpralls noch spüren. Der scharfe Wind wehte eine Zeitung um seine Beine. Ungewöhnlich für eine Stadt, die so penibel sauber gehalten wurde. Überhaupt lag heute eine merkwürdige Stimmung in den Straßen, auch wenn Max nicht sagen konnte, woran es lag. Etwas war anders.
Er hob die »El País« auf, deren Titelseite ein Bild von Maria Escovedo zeigte, Alejandros Witwe, die nun nach Laguardia zog, der Stadt ihrer Geburt. Jetzt, wo ihr Mann tot war, wollte sie zurück in die alte Heimat. Mit dem Geld, das sie aus der Lebensversicherung ihres Mannes erwartete, hatte sie bereits ein Haus erstanden. Es war auf einem Foto abgedruckt, stattlich war es, eigentlich viel zu groß für eine alleinstehende Frau. Es war das Haus ihrer Kindheit, das seit Kurzem zum Verkauf gestanden hatte. Ein glücklicher Zufall, wie die Zeitung es nannte. Oder vielleicht Schicksal? Sie konnte es kaum erwarten, bald dort einzuziehen. Max hoffte, dass ihre Heimat der alten Frau helfen würde, den schweren Verlust zu verkraften.
Weiter unten im Artikel wurde erwähnt, dass dem Ermordeten keine Verbindung zur ETA nachgewiesen werden konnte. Scheinbar hatte es anfangs diesen Verdacht gegeben. Aber Alejandro Escovedo hatte zeitlebens zu Tieren einen besseren Draht gehabt als zu Menschen. Die waren einfach nicht seine Sache gewesen.
Wer konnte es ihm verdenken?
Logroño war zwar nie eine brodelnde Metropole, vor allem während der Siesta, doch heute schien das schwerfällige Herz La Riojas stehen geblieben zu sein. Nur aus einer nahen Tapas-Bar drangen Geräusche. Doch an der Theke saß niemand. Alle drängten sich um den von der Decke hängenden Fernseher, der übermäßig laut gedreht war.
Er zeigte die Bodegas Faustino.
Vor deren Eingang standen mehrere Polizeiwagen mit Blaulicht. Über den unteren Bildrand lief ein Newsticker:
… – Anschlag auf die Bodegas Faustino – Acht Molotow-Cocktails – Polizei verfolgt Täter – Opferzahl unbekannt – Brand noch nicht unter Kontrolle – Anschlag auf die Bodegas Faustino – …
So schnell er konnte, lief Max zurück zu seinem Wagen und jagte den Jeep anschließend durch die leeren Straßen Logroños, als versuche er, ein Formel-1-Rennen zu gewinnen. Die Ampeln interpretierte Max als freundliche Vorschläge zur Fahrgestaltung und ignorierte sie dankend.
Die Polizei hatte die Bodega großräumig abgesperrt, am Straßenrand parkten die Wagen unzähliger Schaulustiger. Schwarze Rauchsäulen stiegen auf und Flammen züngelten zum Himmel empor. Panik lag wie Gift in der Luft, und Max fühlte sich, als habe er gerade die Kulisse eines Actionfilms betreten.
Ein Uniformierter stoppte ihn. »Sie dürfen hier nicht weiter.«
»Will ich auch nicht. Ich möchte nur wissen, ob es Opfer gibt? Schwerverletzte? Tote? Meine Freundin arbeitet bei Faustino.«
»Ich darf ihnen nichts…«
Max merkte, wie ihm schwarz vor Augen wurde. Er senkte seinen Kopf in die Hände, atmete mehrmals tief durch, stieg dann zitternd aus und packte den Polizisten am Kragen. »Ist Cristina Lopez etwas passiert? Reden Sie schon! Ist das denn so viel verlangt?«
»Sekunde.« Der Mann wandte sich ab und sprach in sein Funkgerät. Max sah einen Ehering an seinem Finger, der noch brandneu und unzerkratzt war.
»Sie sind nicht von der Presse?«, fragte der Polizist, als er sich wieder umdrehte.
»Nein!«
»Nach jetzigem Stand wurden bei dem Angriff nur drei Personen leicht verletzt, darunter keine Cristina Lopez.«
Max küsste ihn vor Dankbarkeit und Erleichterung auf die Stirn. »Danke, Mann!«
Cristina ging es gut, der König würde nun sicherlich nicht mehr anreisen und war damit außer Gefahr. Max war glücklich. Neben ihm stand ein Geschäftsmann im perfekt geschnittenen, dunkelblauen Dreiteiler, auf dessen Tablet-Computer die Regionalnachrichten liefen, die Max vorhin auch in der Bar gesehen hatte. Nun wurde ein Foto von Juan Carlos I. eingeblendet – der König hatte vermutlich keine Ahnung, dass ihn ein paar Chaoten, die wahrscheinlich einfach nur ein bisschen randalieren wollten, gerade vor dem Tod bewahrt hatten. Auf die Idee hätte Max auch selbst kommen können! Wie hieß es in Goethes Faust so passend? »Ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.”«
Ein Blitzlichtgewitter setzte ein. Zwei Jugendliche mit über den Kopf gezogenen Kapuzensweatern und Sonnenbrille
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