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Gran Reserva

Gran Reserva

Titel: Gran Reserva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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wert?
    Bei Esther, das wurde ihm jetzt klar, inmitten dieser drängenden Menschenmassen um ihn herum, bei Esther hatte er sich nie völlig fallen lassen, aus Angst vor diesem Schmerz. Er hatte Esther nie ganz in sein Herz gelassen. Das war ihr gegenüber nicht fair gewesen. War er nun bereit? Für Cristina, die ihn auf Distanz hielt und ganz offensichtlich nicht aufrichtig mit ihm war?
    Tief in seinem Inneren wusste Max, dass seine Entscheidung gefallen war.
    Sein Herz gab längst den Takt vor.
    In diesem Moment blieben seine Augen an einem jungen Pärchen haften, das sich leidenschaftlich küsste. Sie hatte ihre Hände hinter seinem Nacken gefaltet, er zog sie eng an sich und hob sie leicht empor. Der Kuss schien niemals zu enden.
    Doch dann drängte die Menge, sie mussten weitergehen, die Lippen lösten sich. Und Max erkannte die Gesichter der Verliebten. Es waren Ines Sastre und David, der australische Geschäftsführer von Francino, dem unangenehmsten Mitbewerber. Wie passte das zusammen?
    David entdeckte ihn und winkte fröhlich rüber. »Komm endlich mal wegen der Fotos vorbei, Max. Ich brauch die für unsere neue Kampagne!«
    Max nickte mit gequältem Lächeln. Weder Zeit noch Lust darauf waren in ausreichendem Maße vorhanden.
    Als sich David durch die Menge bis zu Max vorgearbeitet hatte, umarmte er ihn so fest, als wären sie Freunde aus Kindertagen. »Komm doch direkt morgen vorbei. Da hab ich Zeit. Was meinst du? Ist jetzt echt dringend. Ich habe meinen Chefs von dir erzählt, und die sind jetzt ganz heiß auf deine Bilder.«
    »Ich versuchʼs, versprochen.«
    »Und, Max, wenn du dann noch ein Stündchen Zeit hättest... Ich hab selber ein kleines Projekt laufen, eine Garage-Winery. Dafür kauf ich nur die besten Trauben von alten Weingärten, von solchen, die nicht mehr viel Menge erbringen, dafür aber extrem geschmacksintensive Qualitäten. Ausgebaut wird alles nur in besten Barrique-Fässern, gebrauchten von Romanée-Conti aus dem Burgund. Und im Keller mache ich einfach nichts. Bei so guten Trauben kannst du dir alle Tricks und Kniffe sparen. Da musst du nur eines tun: total und überhaupt gar nichts. Ich verkaufe fast alles in die Staaten, an echte Freaks mit viel Kohle. Da bräuchte ich auch ein paar Fotos, schwarz-weiß am besten, so künstlerisch. Würdest du das machen? Die Zeit setzt du einfach auf die Rechnung von Francino. Merkt kein Mensch.« David breitete die Arme aus und grinste breit. »Ist das nicht eine tolle Gegend hier? Kein Wunder, dass ich mich direkt in das Land verliebt habe, was? Dabei bin ich damals eigentlich den Jakobsweg gewandert. Das Abzeichen habe ich heute noch. Ist zwar dreckig, aber ich bin stolz drauf. Solltest du auch mal wandern, den Jakobsweg, Max. Echt, bringt was! So, jetzt muss ich aber wieder. Wir sehen uns gleich bei der Schlacht!«
    Zum Abschied klopfte er Max zweimal kräftig auf die Schulter und verschwand mit einem fröhlichen Kopfnicken in der Menge.
    Damit brauchte er David zumindest nicht mehr nach dem Abzeichen zu fragen. Es war nicht Alejandro Escovedos. Es war Davids eigenes. Welcher Mörder wäre auch so dumm, ein Andenken an seine Tat zu behalten?
    Max spürte Juans Ellbogen in seiner Seite. »Ich hab mich mal umgehört, was Francino angeht.«
    »Und?«
    Juan lehnte sich näher zu ihm. »Denen geht es gar nicht gut. Die Exporte sind eingebrochen, Davids Stuhl wackelt ordentlich. Und die Garage-Winery, von der er dir erzählt hat, die steckt noch in den Kinderschuhen. Er hat zu horrenden Preisen Trauben eingekauft, aber ist dann nur ein paar Flaschen davon losgeworden. Bewundernswert, wie fröhlich er ist, obwohl ihm der Arsch dermaßen auf Grundeis gehen muss.«
    Vielleicht war Ines der Grund, die ihren schärfsten Konkurrenten gerade an der nächsten Straßenecke sehnsüchtig in die Arme schloss.
    Auf dem Hügel angekommen, kam die Menge zum Stillstand. Dann wurde erst einmal gebetet.
    Doch die Anspannung war fast greifbar, denn alle wussten: Wenn die letzten Worte gesprochen waren, ging es los.
    Nicht nur der Duft von Wein lag in der Luft, auch der von Thymian und Rosmarin. Max schloss die Augen und atmete tief ein.
    Dann ertönte ein Pfiff.
    In Sekundenschnelle füllte sich die Luft mit Wein. In großen Fontänen und Milliarden kleinen Spritzern schoss er über die Menge und färbte sie allmählich dunkelrot.
    Jemand drückte Max einen vollen Kanister in die Hand, doch bevor er auch nur den Deckel abdrehen konnte, war er bereits völlig

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