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Gran Reserva

Gran Reserva

Titel: Gran Reserva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Objektiv nahm Max die Welt wieder wahr.
    Auf einem Pferd thronte ein älterer Mann und posierte wie ein Conquistador. Bürgermeister Santamaria, unbestrittener Herrscher Haros. Ein eitler Pfau.
    »Darf ich ein Foto von Ihnen schießen, Bürgermeister?«
    Max erntete ein huldvolles Nicken. Er nahm jeden Aufnahmewinkel, der sich ihm bot, denn er bildete sich ein, dieses Gesicht schon einmal gesehen zu haben. Er vergaß Gesichter nie, aber sie zuzuordnen, fiel ihm manchmal schwer. Das spitze, fast dreieckige Kinn mit dem tiefen Grübchen, die buschigen Augenbrauen, gegen die selbst die von Theo Waigel dezent wirkten. Doch alles jünger. Viel jünger. Eine Uniform. Auf einem Foto.
    »Haben wir uns nicht schon einmal getroffen?«, fragte Max den Bürgermeister. »Jetzt weiß ich es wieder. Ich habe Ihr Bild im Museum von Ormaiztegi gesehen. Aber steht da nicht, Sie seien ein Nachfahre des Generals Zumalacárregui oder wie der hieß?«
    »Aber nein, Sie müssen mich verwechseln«, antwortete Santamaria irritiert und drehte sich weg.
    »Nein, bestimmt nicht. Ich hab damals ein Foto geschossen. Warten Sie, ich zeige es Ihnen.« Max war sich seiner Sache sicher. Santamaria warf ihm einen wutentbrannten Blick zu. Er ritt heran, riss Max die Kamera aus der Hand und schubste ihn in den Dreck. »Es gibt kein Foto von mir! Haben Sie das verstanden?«
    Max hatte wohl einen Nerv getroffen. Einen enorm empfindlichen.
    Da musste er nachbohren.
    »Dann fahre ich eben noch mal hin und mache ein neues.« Im Moment war Max alles egal, und er hatte kein Problem damit, sich mit dem Bürgermeister anzulegen. Klein beigeben kam gerade nicht infrage. »Und das Foto spiele ich dann der Presse zu. Scheint ja mächtig interessant zu sein.«
    Santamaria schleuderte ihm die Kamera zurück. Max fing sie gerade noch auf.
    »Sie stammen aus Ormaiztegi, oder? Aber warum machen Sie so ein Geheimnis daraus? Warum haben Sie sogar Ihren Namen geändert?«
    Santamaria ritt direkt an ihn ran. Das Pferd schnaubte aus seinen riesigen Nüstern. Dann lehnte sich der Bürgermeister vor. »Was meinen Sie, ist der beste Grund, Ormaiztegi zu verlassen? Na, da kommen Sie doch drauf. Aber wenn Sie das nicht für sich behalten, bekommen Sie unfassbaren Ärger. Vertrauen Sie mir, Sie wollen mich nicht zum Feind haben. Denn wenn Sie mich zum Feind haben, dann ist das ein kurzes Vergnügen. Deshalb rate ich Ihnen, kein Wort mehr über meine Herkunft zu verlieren.«
    Damit gab er seinem Pferd die Sporen und ritt davon.
    Max schoss noch ein paar Fotos von hinten. Wenig vorteilhaft, sowohl für das Pferd als auch für den Reiter.
    Der beste Grund, Ormaiztegi zu verlassen? Die Familie? Die Liebe? Scheiß auf die Liebe, dachte Max. Mit dem Verlieben war er durch. Für immer. Aber warum war der Bürgermeister nicht nur aus seiner Heimat weggezogen, sondern hatte gleich noch den Namen geändert? Warum die Brücken so deutlich abbrechen?
    Das fragte sich der Richtige, dachte Max. Eigentlich hatte er fast dasselbe getan. Köln ohne ein Wort verlassen, und wenn es ihm jemand angeboten hätte, dann hätte er auch schnell noch seinen Namen geändert. Hauptsache, weg und alles hinter sich lassen.
    Das Schicksal machte sich schon wieder über ihn lustig.
    Max fiel auf, dass er vor dem »Café Suizo« stand, wo er bei seinem ersten Besuch in Haro einen Kaffee getrunken hatte. Hier hatte auch Alejandro Escovedo Station gemacht, auf der Suche nach einem alten Bekannten aus dem Baskenland, dessen Namen aber niemand jemals in Haro gehört hatte.
    Konnte das die Lösung sein? Die Synapsen in Maxʼ Kopf feuerten wie wild.
    Und sie feuerten einen Namen.
    Santamaria.

Kapitel 10

    2005 – Ein außergewöhnlicher Jahrgang! Die Blüte fand rund eine Woche früher statt als im Normalfall. Ausreichend Regenfall bis Ende Juni, dann wurde es trocken, doch die Reben waren in so gutem Zustand, dass ihnen das nichts ausmachte. Künstliche Bewässerung war in Rioja Baja ab dem 1. August verboten, im Rest des Gebiets vom 8. August an. Das gute Wetter hielt bis zum Beginn der Lese der roten Trauben in der letzten Septemberwoche. Als am 12. Oktober Regen einsetzte, hingen nur noch rund zehn bis fünfzehn Prozent der Trauben, die dann zwei Wochen später gelesen wurden. Die Trauben kamen in perfektem Gesundheitszustand auf die Kelter und wiesen großartige analytische Werte auf.
    Selbst am nächsten Morgen musste Max sich noch mal duschen, um die rote Farbe des Weins aus der Haut zu waschen. Nach einem

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