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Gran Reserva

Gran Reserva

Titel: Gran Reserva Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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okay. Wirklich.«
    »Ich habe nicht mit ihr geschlafen.«
    Max war erleichtert. Er hatte wohl doch noch mehr Gefühle für Esther, als er sich eine Zeit lang eingestehen wollte.
    »Und ein Iker hat angerufen. Cristina sei morgen früh in Haro, soll ich dir ausrichten. Morgen findet dort nämlich die Batalla del Vino statt. Wolltest du da nicht sowieso hin?«
    Und schon war Max wieder durcheinander. Er hoffte wirklich, dass sich dieses Gefühlschaos bald lichten würde. Manchmal fühlte er sich wie ein hormonverwirrter Teenager, der nicht wusste, wohin mit all seinen Emotionen. Das war anstrengend.
    »Ja, das wollte ich.« Max schloss Juan in die Arme und küsste ihn. Auf den Mund. Wie Männer es manchmal taten, auch in Spanien, aber nur in ganz besonderen Situationen. Der Gewinn einer Fußballweltmeisterschaft gehörte dazu. Und der Moment, in dem einem wieder mal bewusst wurde, dass man einen wahren Freund hatte.
    Yquem schmiegte sich wohlig schnurrend an seine Beine.
    Nun waren sie wohl zu dritt.
    Es war der 29. Juni, der Tag des San Pedro. Um sieben Uhr ging es los in Haro. Doch wer dann erst kam, der kam schon zu spät. Darum saßen Max und Juan nach drei starken Kaffees nun wie zwei Duracell-Häschen mit wippenden Beinen und aufgerissenen Augen im Jeep.
    »Ich trau mich das ja gar nicht zu fragen, Juan. Aber was ist das eigentlich für eine bescheuerte Tradition, bei der guter Rotwein hektoliterweise verschüttet wird?«
    Vor ihnen tauchte Haro auf. Noch sah alles friedlich aus.
    »Das weiß hier jedes Kind, Max. Im Hochmittelalter hatten die kastilischen Städte Miranda de Ebro und Haro einen blutigen Streit. Aber 1290 wurde er geschlichtet. Von da an musste jedes Jahr eine Messe auf dem Berg San Felica abgehalten werden. Der liegt zwischen den beiden Städten, und die Weingebiete dort waren der Grund für den Streit. Das ging ein paar hundert Jährchen gut. Aber wir Spanier haben ein verdammt gutes Gedächtnis, und im 19. Jahrhundert kochte die Suppe schließlich wieder hoch – doch statt sich ganz traditionell abzuschlachten, bespritzte man sich diesmal mit Wein. Die Batalla del Vino war geboren.«
    Juan fand einen Parkplatz in Haro, wo es eigentlich gar keinen gab. Aber man konnte Autos ja auch schräg und halb auf der Fahrbahn parken. Bordsteine, egal wie hoch, stellten kein Hindernis dar. Zumindest an diesem besonderen Tag.
    »Und jetzt ab in die weißen Klamotten! Damit man nachher auch sieht, wie vollgesaut du bist.«
    Juan warf Max Malerkittel und Malerhosen zu, die er sich einst in seiner kurzen, aber heftigen Action-Painting-Phase zugelegt hatte. »Hier wird übrigens nur Presswein verwendet. Also nicht der gute, der ohne Druck von der Kelter läuft, sondern der, für den die Trauben richtig unter Druck gesetzt werden müssen. Der hat viele Gerb- und Farbstoffe.«
    Ganz Haro schien auf den Beinen, und ganz Logroño war zu Besuch gekommen. Die Cuadrillas liefen gut gelaunt an Max und Juan vorbei, einige fuhren auf geschmückten Traktoren den Berg hoch, wo vor Beginn der Schlacht immer noch der traditionelle Gottesdienst stattfand.
    Diese Fröhlichkeit und die ausgelassene Stimmung erinnerten Max an den Karneval seiner Heimatstadt, und auch die Vorfreude auf in Strömen fließenden Alkohol erkannte er wieder.
    Nur dass man sich in Köln nicht damit durchnässte, sondern ihn auf interne Art vernichtete.
    Die Sonne stand schon hoch am Himmel, doch es war noch angenehm kühl. Angeführt von einem einzelnen Reiter, zog die fröhliche Prozession durch die Straßen von Haro. Die meisten hatten weiße T-Shirts und rote Halstücher an. Alle trugen Kanister, Flaschen oder Wasserpistolen, bis oben hin gefüllt mit Wein. In ihren Augen konnte man schon die Kampfeslust erkennen.
    Max sah sich nach Cristina um. Eine dunkelhaarige Frau von gut einem Meter sechzig in dem einheitlich gekleideten Menschenmeer zu finden, war allerdings alles andere als einfach.
    Immer wieder dachte er, er hätte sie entdeckt, und mit jeder Frau, die sich nicht als Cristina herausstellte, spürte Max einen kleinen Stich in seinem Herzen. Längst hatte er verdrängt, dass Liebe, echte Liebe, immer auch mit Schmerz verbunden war. Das Sehnen nach dem anderen, das unaufhörlich an den Eingeweiden zog, das unfassbare Begehren und die zerstörerische Frage, ob der andere einen genauso liebte oder ob alles schon wieder in Gefahr war zu zerbrechen. Vollkommenes Glück war doch immer nur eine Sache von Momenten.
    Und doch, waren diese nicht alles

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