Gran Reserva
durchnässt. Von allen Seiten prasselte Wein auf ihn ein.
Max suchte nach einem Opfer, dass noch völlig unbefleckt war. Doch ein solches gab es längst nicht mehr. Deshalb hielt er den geöffneten Kanister über seinen Kopf und drehte sich immer schneller und schneller, sodass der Wein in alle Richtungen davonspritzte. Langsam verstand er die Begeisterung für dieses Fest. Es war pure Lebensfreude.
Doch dann hielt er plötzlich inne.
Etwa fünfzig Meter entfernt, erkannte er Cristina. Und diesmal war er sich sicher, dass sie es war. Er bahnte sich einen Weg durch die tobende, sich hemmungslos besudelnde Menge, bis er endlich hinter ihr stand.
»Cristina!«
Im Lärmen der Menschenmasse konnte sie Max nicht hören. Erst als er seine Hand auf ihre Schulter legte, bemerkte sie ihn und drehte sich um. Da waren sie wieder, die dunkelbraunen Augen, deren Schönheit er versucht hatte, auf Hunderten Fotos zu bannen. Sie blickten ihn ernst und wütend an.
»Warum bist du aus dem Guardaviña weggerannt? Und warum gehst du nicht mehr an dein Telefon? Du fehlst mir!« Er musste brüllen, damit sie ihn verstand.
Er griff nach ihrer Hand, doch sie schob ihn fort von sich. »Max, lass mich. Du empfindest doch gar nichts für mich, sei doch ehrlich zu dir.«
Der Wein fiel weiter wie roter Regen auf sie.
»Was redest du da?« Max konnte den Sinn ihrer Worte nicht begreifen. Reglos standen die beiden in der brodelnden Menge.
»Neulich hast du mich gefragt, warum ich Carlos kurz vor der Hochzeit verlassen habe. Ich verrate es dir. Ich bin weg von ihm, weil er alles bestimmen wollte. Er wollte mir immer vorgeben, was ich zu tun und zu lassen, zu denken und zu fühlen hatte. Und du bist genauso. Meine Meinung zählt nicht. Wenn man kein Opfer für den anderen bringt, obwohl es dem unheimlich wichtig ist, dann ist das keine Liebe.« Max traf es wie ein Schlag ins Gesicht. »Du hattest mir versprochen, mit deinen Nachforschungen aufzuhören, Max! Versprochen! Aber du hast es nie ernst gemeint. Das habe ich damals schon in deinen Augen gesehen. Du willst nicht aufhören damit, auch nicht für mich. Weil du mich nicht genug liebst.«
Max küsste sie, hielt ihr Gesicht fest in Händen, doch sie riss sich los.
»Wie kannst du so was nur von mir verlangen? Immerhin war ich selbst unter Verdacht. Wie kannst du da erwarten, dass ich mich nicht mehr für die Wahrheit interessiere?«
»Ich hatte dich nur um diesen einen Gefallen gebeten. Aber du hast deine Chance verpasst. Carlos hat eingesehen, dass er damals dumm war. Er hat mir versprochen, dass er sich ändert. Ich bin wieder bei ihm.«
»Du willst mit einem Mann zusammen sein, der mich zusammenschlägt und mir den Kontakt zu dir verbietet? Nach einem Sinneswandel sieht mir das nicht aus. Er wählt den Mann für dich aus, und er wählt sich. Großartig, Cristina!« Max spürte, wie die Wut in ihm hochkochte und sich etwas im Inneren seines Brustkorbs zusammenzog.
»Ich fühle nichts für dich, Max. Das habe ich nie getan. Du warst ein Spiel. Ein schönes. Aber das ist nicht das Leben. Geh zurück nach Deutschland und vergiss mich.« Ihr Blick war kalt. »Unsere Geschichte ist zu Ende. Carlos ist die Liebe meines Lebens, ich war nur zu dumm, es zu sehen. Jetzt habe ich die Augen endlich aufbekommen.«
Sie drehte sich um und lief fort. In der Ferne konnte Max sehen, wie jemand seinen kräftigen Arm um ihre Taille legte. Carlos, der Radfahrer, der ETA-Hasser, der Schläger. Der Paulus der Rioja.
Max sah zu Boden und ließ den restlichen Wein aus seinem Kanister in den Grund sickern. Allmählich ließ der rote Regen nach, und die Sonne erhitzte den vollgesogenen Boden. Der Duft war unbeschreiblich. Wie in einem Weinkeller, wo alle Fässer zerborsten sind.
Max fand Juan wieder, völlig erschöpft und bis auf den letzten Quadratzentimeter seiner Haut weinrot gefärbt.
Kurze Zeit später saßen die beiden mit einer gut gelaunten Gruppe Mittvierziger an einem der aufgestellten Tische, wo jetzt noch großzügig gevespert wurde. Sie aßen Lamm, Schnecken und Würste. Max hätte genauso gut nasse Pappe essen können, denn er stopfte sich alles nur geistesabwesend in den Mund, ohne den Geschmack wahrzunehmen.
Wie in Trance ließ er sich eine Stunde später in der Menge der Weinkämpfer zurück nach Haro treiben. Auf dem Stierkampfplatz wurden junge Rinder freigelassen.
Irgendwann holte er endlich seine Kamera heraus. Die Weindusche hatte sie zum Glück gut überstanden. Erst durch das
Weitere Kostenlose Bücher