Grand Cru
guter Freund von mir. Wir helfen uns gegenseitig. Alle, die Sie hier sehen, sind Freunde oder miteinander verwandt, und sie kommen jedes Jahr zur Weinlese.«
»Aber warum machen Sie sich diese Arbeit, wenn er auf seinen Wein keinen Wert legt? Ich verstehe das nicht«, sagte Jacqueline.
»Sie haben da eine Traube übersehen. Und ein Stück weiter daneben noch eine.«
»Die hab ich absichtlich hängen lassen«, schnappte sie. »Manche sind viel zu vergammelt.«
»Schneiden Sie sie trotzdem. Joe ist nicht wählerisch.«
Sie warf den Kopf in den Nacken und reagierte nicht. Bruno ging zu ihr und schnitt ab, was sie hatte hängen lassen. Nur einige wenige Beeren waren geplatzt oder verschrumpelt. Er zupfte sie heraus und legte die Trauben in den Kübel.
»In Kalifornien wären Sie jetzt gefeuert«, sagte sie und betonte das Satzende wie eine Frage. Bruno war schon aufgefallen, dass sie das häufig tat.
»Vielleicht hätten sie dich auch abgeknallt«, grinste Max.
»Wären wir in Kalifornien, würde ich nicht bei der Weinlese helfen«, entgegnete Bruno. »Es sei denn, ein Freund würde mich darum bitten. Und wenn ich ihm dann helfe, halte ich mich an seine Regeln. Hier gelten die von Joe. Auch für Sie.«
18
Angenehm gesättigt von Joes
cassoulet,
wartete Bruno vor den Eingangsstufen zur
mairie.
Vor der um drei Uhr angesetzten Trauung hatte der Bürgermeister noch eine Viertelstunde für die amtliche Abwicklung der Adoption freigehalten und damit einem Ratsmitglied eine Gefälligkeit erwiesen. Alphonse hatte sich um Max' rechtlichen Status nie groß gekümmert, außer dass er damit einverstanden gewesen war, auf dessen Personalausweis als nächster Angehöriger eingetragen zu werden, aber als er von Cresseils Ansinnen gehört hatte, war er hellauf begeistert gewesen.
»Wenn man einen jungen Mann hier halten will, gibt's doch nichts Besseres, als ihm ein Stück Land zu geben, oder?«, hatte er zu Bruno gesagt. »Ich dachte immer, wenn er erst einmal seinen Universitätsabschluss hat, wird er weggehen, nach Paris, Kalifornien oder sonst wohin.«
Die Hochzeitsgäste sammelten sich bereits auf dem Parkplatz neben der
mairie,
als Alphonse endlich mit seinem Wagen vorfuhr. Ausnahmsweise war Bruno diesmal nicht standesamtlich verpflichtet, der Trauung beizuwohnen. Zwei Saisonangestellte des Hotels Royal hatten nach einem ebenso arbeitsreichen wie leidenschaftlichen Sommer zu heiraten beschlossen, und zwar hier in Saint-Denis, da der Vertrag des Bräutigams als Barkeeper verlängert worden war. Bruno begrüßte die ihm bekannten Hochzeitgäste, unter denen er zu seiner Überraschung auch Pamela entdeckte. Sie trug einen Strohhut mit breiter Krempe und roter Satinschleife.
»Sie sehen wie immer großartig aus, geradezu majestätisch«, sagte er und küsste sie auf beide Wangen. »Aber Engländern sagt man ja ohnehin eine besondere Affinität zu ihrem Königshaus nach.«
»Mein lieber Bruno, Sie haben offenbar ausgiebig zu Mittag gegessen und getrunken«, erwiderte sie in ihrem fehlerfreien Französisch. »Waren Sie zur Weinlese bei Joe?«
»Ja, wie viele andere auch, denen es wie mir das Herz gebrochen hat, dass Sie nicht dabei waren.«
»Sie sind beschwipst, Bruno. Sei's drum. Übrigens hatte ich über Nacht Marie bei mir zu Gast, um sie vor ledigen Männern zu schützen.«
»Marie, die Braut? Ich wusste gar nicht, dass Sie mit ihr befreundet sind.«
»Sie hat mir im Sommer beim Zimmermachen geholfen, wenn die einen Gäste gingen und neue kamen. So wusste ich auch von dieser Romanze von Anfang an. Und weil mich die Braut gebeten hat, ihr heute beim Einkleiden zu helfen, musste ich Joe absagen.«
»Dann werden Sie wohl auch nicht dabei sein, wenn wir heute Abend die Trauben pressen. Schade. Ich muss jetzt los. Die Pflicht ruft. Oh, da fällt mir ein: In Huberts
cave
arbeitet eine Praktikantin aus Kanada, die eine Bleibe sucht, und ich dachte, vielleicht haben Sie noch einen
gîte
frei. Geben Sie mir Bescheid oder Hubert. Ihr Name ist Jacqueline. Entschuldigung, ich muss mich beeilen. Bis bald.« Er rannte die Stufen hinauf und erreichte den Ratssaal, als Cresseil gerade aus dem Fahrstuhl gehumpelt kam. Der Bürgermeister -mit seiner Schärpe in den Farben Frankreichs und seinem Orden der Ehrenlegion im Revers - trat grüßend auf sie zu.
»Wir brauchen noch einen Zeugen, Bruno«, sagte der Bürgermeister. »Alphonse scheidet in dieser Funktion aus, weil er Max' nächster Angehöriger ist.«
»Muss es ein
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