Grand Cru
wahrscheinlich auch Jacqueline glaubten wohl immer noch an ein tragisches Unglück. »Wie geht es Ihnen? Haben Sie den Schock überwunden?«
»Das Leben geht weiter, das Unkraut wuchert, und ich muss mich um die Pferde kümmern«, antwortete sie. »Der Alltagstrott kann in schwierigen Zeiten durchaus tröstlich sein. Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten, oder hätten Sie lieber Kaffee, einen
petit apéro
vielleicht? Spät genug wäre es ja dazu. Sie waren bestimmt fleißig und haben sich einen Drink verdient.«
»Nein, danke - und ja, wir waren fleißig. Der erste Fall, die Brandstiftung, ist gelöst. Wir wissen jetzt, dass es Max war, aber behalten Sie das bitte für sich. Es gibt keinen Zweifel. Wenn er nicht tot wäre, müsste er jetzt ins Gefängnis.«
»Herrje, auch das noch!«, platzte es aus ihr heraus. »Ich mache Ihnen Kaffee. Sie sehen so aus, als könnten Sie einen Schluck gebrauchen. Kommen Sie mit in die Küche.«
Sie legte die Hacke ab, nahm ihn bei der Hand und duldete offenbar keinen Widerspruch. In der Küche setzte sie Wasser auf, steckte eine Filtertüte in den Trichter und schüttete Bohnen in eine alte Kaffeemühle, die an die Anrichte geschraubt war.
»Haben Sie heute schon was gegessen?«, fragte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Ich werde wahrscheinlich gleich mit Jean-Jacques eine Pizza essen. Das ist der Chefinspektor aus Périgueux. Wir haben in der Mordsache des alten Soldaten aus Algerien zusammengearbeitet, Sie erinnern sich bestimmt. Jean-Jacques wird wieder ein paar Tage in der Stadt bleiben.«
»Ja, ich erinnere mich, und nach dem, was Sie mir über diesen Herrn erzählt haben, würde ich ihn gern kennenlernen.« Sie stellte zwei Tassen und eine Zuckerdose auf den Tisch, und bald duftete es in der Küche nach frischem Kaffee. »Sie halten ja große Stücke auf ihn. Darf ich Sie beide heute Abend zum Essen einladen? Ich würde für uns kochen.«
»Das hört sich verlockend an. Ich könnte Wein mitbringen, einen Gigondas, den ich gerade bei Hubert gekauft habe.«
»Das Sonderangebot für vier Euro?« Sie lachte. »Hätten Sie ein bisschen gefeilscht, wäre Nathalie mit einer halben Kiste für zwanzig herausgerückt. Da drüben stehen meine sechs Flaschen. Ich habe sie noch nicht weggeräumt.«
»Sie haben also auch welche gekauft. Tüchtig, diese Nathalie. Und Sie, Pamela, machen einen großartigen Kaffee. Danke.«
»Tja, jammerschade, dass wir nicht mehr erfahren werden, wie Maxens Wein geschmeckt hätte. Auch wenn er, wie Sie sagen, das Feuer gelegt hat, so war er doch ein ganz besonderer junger Mann.«
»Apropos, wann ist Jacqueline eigentlich in der Nacht vor dem Tod von Max und Cresseil zurückgekommen?«
»Muss spät geworden sein. Ich konnte nicht einschlafen und habe noch gelesen, so bis eins, und da war sie noch nicht zurück.«
»Hat sie Ihnen erzählt, wo sie in dieser Nacht gewesen ist?«
»Nein, aber sie hatte vorgehabt, Max bei der Weinlese zu helfen. Sie sagte, er wolle seine Trauben im Dunkeln ernten, wenn es nicht mehr so heiß sei. Ich habe dem keine Bedeutung beigemessen.«
»Aber Sie sind sicher, dass sie nicht vor eins zurück war?«
»Ziemlich sicher. Es kann allerdings sein, dass ich kurz weggedöst bin und sie nicht gehört habe.«
»Wann ist sie am nächsten Morgen aufgebrochen?«
»Wie immer, kurz nach halb neun. Die
cave
öffnet um zehn. Hubert will sein Personal aber immer schon gegen neun im Laden haben, um den Bestand aufzunehmen, wie er sagt.«
»Mögen Sie Jacqueline?«
»Ich habe mir noch kein Bild von ihr machen können. Sie ist ja erst seit kurzem bei mir.«
»Aber Sie werden doch zumindest einen Eindruck von ihr haben.«
»Das ist wirklich schwer zu sagen. Wir haben uns bislang nur über Alltagsdinge unterhalten und hatten noch kein ernsthaftes Gespräch, das zu so etwas wie Nähe oder Freundschaft hätte führen können. Auch bezweifle ich, dass es dazu jemals kommen wird. Ich vermute, sie ist eines jener Mädchen, die sich Frauen gegenüber ganz anders verhalten als im Umgang mit Männern.«
»Da könnten Sie recht haben«, entgegnete Bruno. »Vielleicht bleibt hübschen Mädchen, die von Männern umschwärmt werden, auch gar nichts anderes übrig. Sie, Pamela, können wahrscheinlich ein Lied davon singen.«
»Schmeichler. Danke für das Kompliment. Trotzdem, ich behandle Männer und Frauen gleich, und das war schon immer so. In der Hinsicht war ich nie wie Jacqueline.«
»Haben Sie schon einen ihrer Verehrer kennengelernt,
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