Granger Ann - Varady - 01
würde unter den gegebenen Umständen wohl akzeptieren, dass wir von nichts
gewusst hatten und nicht am Tatort gewesen waren, jedenfalls nicht ohne Bestätigung von dritter Seite. Wir gehören
nicht zu der Sorte Leute, deren Wort man einfach so Glauben schenkt. Also benötigten wir Alibis, ganz offensichtlich.
Nev und ich konnten mit ein wenig Glück beweisen, dass
wir zum fraglichen Zeitpunkt bei seinen Freunden gewesen
waren und scharfes, richtig mexikanisches Chili gegessen
hatten. Was Squib anging, unser Pflastermaler hatte ohne
Zweifel Hunderte von Zeugen für seine Aktivitäten. Doch
alle wären an ihm vorbeigegangen, ohne die gebeugte Gestalt mehr als flüchtig wahrzunehmen, die eifrig das Pflaster
mit Malkreide bearbeitete. Einige hätten das, was er da malte, genauer betrachtet, doch kaum jemand hätte sich die
Mühe gemacht, den Künstler in Augenschein zu nehmen.
Ich schien mich in meinem Sessel bewegt zu haben, denn
mit einem Mal bemerkte ich, dass Wilson mich aus wachsamen Knopfaugen anstarrte. Er verspannte sich, als ich
mich bewegt hatte, wohl weil er glaubte, dass ich Anstalten
träfe, durch eine der Fensterscheiben nach draußen zu
springen und über die Straße davonzurennen, wie sie es im
Film tun. Er sah wahrscheinlich zu viel fern.
»Ich brauche ein Glas Wasser«, sagte Nev und stand auf.
»Sie bleiben schön da sitzen, wo Sie sind, Sonnenschein«,
befahl Wilson.
»Er hat sich erbrochen!«, fauchte ich. »Bleib hier, Nev, ich
hole dir Wasser.« Ich marschierte zu Wilson und baute
mich vor ihm auf. »Und Sie haben nicht das geringste
Recht, mich daran zu hindern!«, sagte ich. »Vergessen Sie
nicht, Ihr Kollege war gestern hier, und unsere Mitbewohnerin starb unmittelbar danach.«
»Sie haben ein loses Mundwerk«, sagte er.
»Und Sie einen fetten Bauch«, entgegnete ich.
»Also schön«, schnarrte er. »Sie werden bestimmt nicht
mehr so großmäulig daherreden, wenn die Polizei erst hier
ist! Holen Sie ihm sein Glas Wasser. Wo ist die Küche?«
»Direkt nebenan. Wenn ich die Tür offen lasse, können
Sie mich ja beobachten, in Ordnung?«
Er brummte etwas Unverständliches und trat hinaus in
die Halle, von wo aus er sowohl das Wohnzimmer als auch
die Küche kontrollieren konnte. Ich ging in die Küche und
drehte den Wasserhahn auf. Ich nahm mir die Zeit, zuerst
selbst etwas zu trinken, auch wenn ich Wilsons Blicke im
Nacken spürte. Dann füllte ich ein Glas für Nev und brachte
es ihm.
»Danke, Fran.« Er trank. Nach einem Augenblick flüsterte er: »Bleib in meiner Nähe, Fran, ja? Ich glaube nicht, dass
ich allein mit der Polizei zurechtkomme.«
Ich lächelte erneut. Er würde wohl oder übel allein mit
der Polizei zurechtkommen müssen, weil man uns getrennt
befragen würde.
Ehrlich, ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viele
Bullen auf einem Haufen gesehen, nicht in einem einzigen
Haus jedenfalls. Sie brachten alle möglichen Sachen mit,
Scheinwerfer und Kameras und was weiß ich nicht alles. Es
wäre sicher interessant gewesen, ihnen bei der Arbeit zuzusehen, hätten wir nicht im Zentrum ihrer Bemühungen gestanden. Ein Detective Sergeant Parry traf ein. Er hatte kurz
geschorenes rötliches Haar und hellblaue Augen, die zu eng
beieinander standen. Seine Augenbrauen waren so gut wie
nicht existent, und vielleicht um dieses Manko zu kompensieren, versuchte er, sich einen Schnurrbart stehen zu lassen
– ein Unterfangen, dem kein sonderlich großer Erfolg beschieden gewesen war. Der Schnauzer spross höchst ungleichmäßig in seiner Dichte über der Oberlippe und sah
aus, als sei er von Räude befallen. Parry gab sich sarkastisch.
Was auch immer wir ihm erzählten, er glaubte uns offensichtlich kein einziges Wort.
»Also schön, was ist passiert?« Er hatte ein Notizbuch
hervorgezogen und blätterte müde darin.
Wir sagten ihm, dass wir es nicht wüssten.
»Kommen Sie mir nicht damit, ja? Und verschwenden Sie
nicht unsere Zeit, meine, die des Inspectors und Ihre eigene.
Wissen Sie eigentlich, wie viel eine Untersuchung wie diese
den Steuerzahler kostet? Nein, vermutlich nicht. Ihresgleichen zahlt ja keine Steuern. Schnorrer, allesamt, leben von
der Sozialhilfe. Kommen Sie, lassen Sie uns die ganze Geschichte hören.«
Was sagt man zu jemandem wie diesem Sergeant? Wir
sagten nichts.
»Was ist?« Er starrte uns verdrießlich an. »Hat Ihnen jemand gesagt, Sie hätten das Recht zu schweigen? Haben Sie
vielleicht etwas zu verbergen?«
»Nein«,
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