Granger Ann - Varady - 01
äußerst liebenswürdig, als wären die Leute eigens gekommen, um sie zu besuchen. Mir hat sie einmal erzählt, dass sie vor langer Zeit eine
Debütantin gewesen wäre, und ich glaubte ihr. Die Stadt
hatte wegen der Gräber ringsum Schwierigkeiten, die Kapelle einzureißen, und so war wenigstens Edna für den Augenblick sicher.
Im Verlauf des Nachmittags hatte der Laden frische
Früchte und frisches Gemüse hereinbekommen. Die Kisten
stapelten sich auf dem Bürgersteig, und Ganesh war mit
dem Wegräumen beschäftigt. Einiges kam in die Auslage
vor dem Laden, den Rest trug er durch eine Seitengasse in
den Hof hinter dem Haus.
Er steckte in einer schmuddeligen Jeans und einem alten
Shetland-Pullover, denn es war keine saubere Arbeit. Die
langen schwarzen Haare hatte er mit einem Gummiband
zusammengebunden. Er bindet die Haare immer nach hinten, wenn er arbeitet, weil das bequemer ist und weil sein
Vater darauf besteht. Wenn es nach Mr. Patel gegangen wäre, hätte Ganesh den ganzen Tag in einem Anzug gesteckt
und die Haare kurz getragen, jedenfalls glaubte Ganesh das.
Eltern haben Pläne für ihre Kinder, schätze ich. Mein Dad
hatte Pläne mit mir. Manchmal hoffe ich, dass es mir noch
gelingt, wenigstens einen Teil davon Wirklichkeit werden zu
lassen, und er wird es wissen, im Himmel. Ich würde ihm
gerne Freude machen, selbst jetzt noch. All die Enttäuschungen wieder gutmachen, die ich ihm bereitet habe.
Ganesh blickte auf, als ich über den Bürgersteig herankam. Sein Gesichtsausdruck war sorgenvoll gewesen, doch
als er mich erkannte, hellte sich seine Miene auf. »Fran!
Gott sei Dank, dir ist nichts passiert! Was ist denn los? Ich
habe mir irre Sorgen wegen dir gemacht! Jemand hat erzählt, jemand in eurem Haus wäre tot!«
»Terry hat sich umgebracht«, sagte ich.
Ich drehte mich um, und wir sahen zum Haus zurück.
Außer der Polizei hatte sich dort eine kleine Gruppe Schaulustiger eingefunden. Ein Lieferwagen stand direkt hinter
den Fahrzeugen der Polizei; er war vorhin noch nicht da
gewesen. Es entmutigte mich noch mehr, falls das überhaupt möglich war.
Wenn einer von uns anderen tot gewesen wäre, Nev oder
Squib oder ich, hätte es wahrscheinlich nicht halb so viel
Aufhebens gegeben. Nev mit seinen Nervenzusammenbrüchen wäre sofort als Selbstmörder durchgegangen. Wenn
Squib von der Decke gebaumelt hätte, würden sie die Schultern gezuckt und gesagt haben, ein Problem weniger für die
Gesellschaft. Über mich hätten sie wahrscheinlich das Gleiche gesagt – aber Terry? Irgendetwas war mit ihr.
Terry bedeutete Probleme.
Die Polizei spürte es, genau wie ich es immer gespürt hatte.
Die Polizei wusste, dass man Terry nicht einfach so abschreiben durfte, wie sie es bei uns gemacht hätte. Sie ging
genau nach Vorschrift vor, um jeder möglichen Kritik vorzubeugen.
Ganesh gefiel die rege Betriebsamkeit am Ende der Straße
genauso wenig wie mir. Er klopfte sich die Hände ab und
rieb sie an seinem Pullover sauber, und dann gingen wir um
das Haus herum in die Seitengasse.
Der Hof stand gerammelt voll mit Zeugs. Volle Kisten,
leere Kisten, Stapel zerrissener Kartons, die auf die Altpapiersammlung warteten, und überall welke Blätter und zerquetschte Früchte.
Ganesh nahm zwei Äpfel und bot mir einen davon an.
Überrascht stellte ich fest, dass ich hungrig war. Wir setzten
uns nebeneinander, und zwischen großen Bissen in meinen
Apfel erzählte ich ihm, was ich durfte. Es war nicht viel. Inspector Janice hatte mir die strikte Anweisung erteilt, mit
niemandem über die Angelegenheit zu reden. Ganesh war
zwar nicht irgendwer, aber wenn er schon gehört hatte, dass
im Haus eine Tote gefunden worden war, dann wusste er
ungefähr genauso viel wie ich.
Wenigstens machte ich dank meiner Schauspielkünste eine gute Geschichte daraus und beendete meine Erzählung
auf dem Höhepunkt mit der Bemerkung, dass die Polizei
glaube, es handele sich um einen Mord.
Billige theatralische Tricks konnten Ganesh nicht beeindrucken. Er blickte mich zweifelnd an. »Die Leute erzählen,
Terry hätte sich selbst aufgehängt.«
Gerüchte verbreiteten sich rasch, wie üblich. »Die Polizei
glaubt, jemand hätte nachgeholfen.«
»Aber wer?« So war Ganesh. Immer die unangenehmen
Fragen auf den Lippen.
»Die Polizei meint, wir. Aber wir waren es nicht.« Ein
dunkler Gedanke kam mir, und er machte die Sache noch
schlimmer. »Gan, wenn es stimmt … wenn Terry ermordet
worden ist, dann muss sie ihren Mörder ins
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