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Granger Ann - Varady - 01

Titel: Granger Ann - Varady - 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nur der Tod ist ohne Makel
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Eltern über uns herfielen. Ich war nicht
überrascht, sie zu sehen. Ich glaube, Nev war es auch nicht.
Er hatte die Aura eines Verurteilten, seit er zur Tür herein
gekommen war.
Nevs Vater stand kerzengerade mitten im Wohnzimmer,
die Hacken beieinander und die Hände hinter dem Rücken
verschränkt, als musterte er seine Truppen. Seine Mutter
starrte mich an wie meine alte Rektorin, wenn ich wieder
irgendetwas ausgefressen hatte.
Ich habe meine Schule bereits erwähnt. Meine Mutter lief
davon und ließ mich und meinen Dad allein, als ich sieben
war. Ich wuchs bei meinem Vater und meiner ungarischen
Großmutter Varady auf. Ich glaube, mein Vater hatte das
Gefühl, er müsste mir jede nur denkbare Chance eröffnen,
weil meine Mutter mich im Stich gelassen hatte. Ich erzählte
immer allen, dass sie tot sei, weil wir nicht wussten, wo sie
steckte, und weil es für mich tatsächlich so war, als sei sie
tot. Also kratzten Vater und Großmutter Varady jeden Penny zusammen, damit ich auf diese Schule für junge Ladys
gehen konnte.
Ich steckte vom ersten Tag an nur in Schwierigkeiten,
und als ich fünfzehn war, sagten sie meinem Vater, dass es
die Mühe nicht wert sei, mich weiter dort zu behalten. Sie
wollten, dass ich die Schule verließe.
Sie schrieben eine abschließende Beurteilung in mein
Zeugnis. Darin stand: »Francesca ist hochintelligent, doch es
mangelt ihr an Fleiß. Sie hat immer wieder versäumt, von
den Möglichkeiten Gebrauch zu machen, die diese Schule
ihr geboten hat.«
Ich habe mich in meinem ganzen Leben niemals wegen
etwas so sehr geschämt wie an jenem Tag, als ich mit ansah,
wie mein Vater dieses Zeugnis las. Er und Großmutter Varady hatten sich jeden Luxus verwehrt, um mir den Besuch
dieser Schule zu ermöglichen, und ich hatte sie beide gründlich enttäuscht. Es tat mir unendlich Leid, doch es war zu
spät. Ich liebte meinen Vater und meine Großmutter und
hätte ihnen absichtlich niemals weh getan, aber genau das
war geschehen.
Wären sie zornig gewesen, hätten sie geschrien und mit
den Füßen gestampft, hätte es vielleicht geholfen, doch sie
sagten kein Wort. Im Gegenteil, Vater nahm mich sogar beiseite und meinte: »Mach dir nichts draus, édesem «, und dann
drückte er mich, weil er befürchtete, dieses Zeugnis könnte mich verletzen. Er musste Großmutter Varady gewaltsam davon abhalten, zu dieser Schule zu marschieren und der Rektorin eine Tracht Prügel zu verpassen. Großmutter Varady
entstammte einer langen Linie von Husaren, und wir besaßen
noch immer verblasste Schwarzweißfotografien von einigen
ihrer Vorfahren, gewachste Schnurrbärte, enge Jacken mit
Pailletten, noch engere Hosen und blitzblank polierte Stiefel.
Großmutter glaubte fest daran, dass die Antwort zu jedem
Problem in einem Kavallerieangriff liege.
Ich ging nach oben und schloss mich in meinem Zimmer
ein, um zu heulen. Hinterher versprach ich mir selbst hoch
und heilig, dass ich niemals wieder so etwas Dummes anstellen würde. Vermutlich habe ich mein Versprechen
gebrochen.
Wie dem auch sei, das Ergebnis des Besuchs der Porters
bestand darin, dass Nev brav mit ihnen zur Tür hinaus marschierte, zurück in jenes luxuriöse Gefängnis, das sie Zuhause nannten. Wenn man sie mit ihm reden hörte, hätte man
meinen können, er sei erst vier und nicht vierundzwanzig
Jahre alt. Schlimmer noch, sie erzählten ihm, dass ihr guter
Freund, irgendein bedeutender Chefarzt, eine ganze Reihe
neuer Ideen für die Behandlung seiner nervösen Zusammenbrüche entwickelt habe.
Im Gehen sagte er: »Wir bleiben in Verbindung, Fran. Ich
melde mich. Ich hab dir meine Bücher dagelassen.«
Ich sagte artig »Danke«, doch ich wusste, dass ich ihn nie
wiedersehen würde. Also fügte ich hinzu: »Viel Glück.« Er
hätte mir die Bücher auch in seinem Testament vermachen
können, so endgültig war unser Abschied.
Seine Mutter bedachte mich mit einem wirklich gemeinen Blick. Sein Vater hatte mich die ganze Zeit über, die er
in der Wohnung gewesen war, nicht eines einzigen Blickes
gewürdigt. Er tat, als sei ich überhaupt nicht da. So machte
er es mit allem, womit er nicht umgehen konnte, er tat so,
als existiere es nicht. Genau wie bei der Krankheit seines
armen Sohnes Nev.
Ich wusste, dass sich mein Leben für immer geändert hatte, zum Besseren oder zum Schlechteren. Wahrscheinlich
zum Schlechteren.
KAPITEL 5 Ich war auf mich selbst gestellt.
Allein. Ich hatte seit einer ganzen Weile nicht mehr allein
gelebt.

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