Granger Ann - Varady - 02
über der Brüstung aufgetaucht.
»Grundgütiger, Fran!«, rief Sergeant Parry. »Wie sind Sie
bloß da runtergekommen?«
Hätte nur meine Wenigkeit dort unten festgesteckt, hätten
sie mir wahrscheinlich gesagt, ich solle mich nicht so anstellen und anfangen zu klettern. Doch dann bemerkten sie die
entführte Szabo-Erbin (als die sie ihnen wahrscheinlich erschien) bei mir, und sie fingen an zu beratschlagen, ob sie
nicht lieber die Feuerwehr mit einem Leiterwagen herbeordern sollten.
Ich verspürte nicht die geringste Lust, noch weitere fünfzehn Minuten auf dem klapprigen Absatz der Feuertreppe
auszuharren, bis Feuerwehrhauptmann Flack, mein Held
aus dem BBC-Kinderprogramm, vorbeikäme, um mich zu
retten, und sagte Lauren, dass sie meinetwegen alleine warten könne. Ich würde auf jeden Fall die Leiter hochklettern.
»Ich bleibe nicht alleine hier!«, schniefte sie und schob
mich zur Seite, um wie der sprichwörtliche Inder am Seil
nach oben zu wuseln, wo sie von den starken Armen der
Metropolitan Police in Empfang genommen und über die
Brüstung gehoben wurde.
Dann verschwanden alle, und mit ihnen die Taschenlampen, und ich sollte mir wohl ganz allein und in der fast völligen Dunkelheit den Weg nach oben suchen.
»Hey!«, rief ich empört. »Was ist mit mir?«
Parrys Kopf tauchte wieder auf. Er reichte einem uniformierten Beamten seine Taschenlampe, und der beleuchtete
dann eher planlos die Sprossen vor mir, während ich nach
oben kletterte. Parry packte meine Handgelenke und zog
mich unsanft das letzte kleine Stück über die Betonmauer.
»Merv ist Ihnen entwischt!«, ächzte ich, sobald ich wieder
festen Boden, das Dach nämlich, unter meinen Füßen spürte. »Er ist nach dort drüben geflüchtet, zwischen den beiden
Häusern hindurch!« Ich zeigte auf den in der Dunkelheit
kaum noch sichtbaren Spalt, in dem Merv verschwunden
war.
Parry fluchte, ließ mich stehen und ging, um anderen Befehle zuzubrüllen. Bei mir setzte die Reaktion auf die jüngsten Ereignisse ein. Meine Beine fingen an zu zittern, und in
mir breitete sich eine Woge von Übelkeit aus. Ich setzte
mich, den Rücken an die Brüstung gelehnt, und ließ den
Kopf auf die angezogenen Knie sinken.
Einige Minuten später näherten sich schwere Schritte.
»Alles klar da bei Ihnen, Fran? Sie werden sich doch jetzt
nicht übergeben, oder?«
Ich hob den Blick. Parry stand mit besorgter Miene vor
mir. »Nein, mir geht es gut, danke«, brachte ich, wenn auch
mit schwacher Stimme, heraus. »Wie haben Sie es nur hingekriegt, ihn entkommen zu lassen?«
»Er muss sich im Keller zwischen den Rohren versteckt
haben und hinter unserem Rücken raus sein. Keine Sorge,
den kriegen wir.« Er ließ sich auf die Hacken nieder und sah
mir ins Gesicht. Ȇbrigens, Ihr schottischer Freund hat uns
alarmiert, der Künstler. Er hat gesagt, er glaubt, Sie seien
entführt worden.«
»Das wurde ich auch!«, erzählte ich. »Ich wurde gefesselt,
mit einem Stück Stoff über dem Kopf durch die Gegend kutschiert und in einem verschlossenen Raum abgeladen …«
»Na ja, jetzt sind Sie ja wieder frei«, unterbrach er mich.
»Nichts Schlimmes passiert, eh? Sie haben sogar noch alle
Sachen an.«
Nicht zum ersten Mal konnte ich Parrys Gedankengängen nicht mehr folgen. Seine Bemerkung war, so, wie er die
Worte herausgebracht hatte, eine ziemliche Beleidigung,
was mich sofort von meiner vorübergehenden Schwäche erlöste. »Sachen?«, fauchte ich. »Warum sollte ich denn meine
Sachen nicht mehr anhaben?«
»Ihr schottischer Künstlerfreund, dieser Rabbie-BurnsVerschnitt da, hat gemeint, er hätte Ihr Kostüm auf dem
Boden gefunden, also müssten Sie in BH und Höschen
sein.« Parry grinste. »Na ja, vielleicht nächstes Mal, wie?«
»Hören Sie endlich auf, ja?«, stöhnte ich. »Ich hab fürs
Erste genug hinter mir.«
Er runzelte die Stirn und sah mich an. »Ja, Sie haben
Recht. Hat Sie ‘s schon wieder im Gesicht erwischt?«
Ich hatte meine Blessuren völlig vergessen. »Ich bin gegen
eine Tür geknallt«, erklärte ich. »Als ich durch ein Oberlicht
klettern wollte.«
»Klingt ganz nach Ihnen«, erwiderte er. »Sie lernen es nie,
Fran, was?«
Ich blickte an ihm vorbei zu einer Gruppe besorgter Beamter, die sich immer noch um Lauren Szabo drängte. Sie
packten sie in Tonnen männlich-markanter Fürsorglichkeit,
und ich fragte mich missmutig, warum nicht ein Einziger,
nicht einmal Parry, mir auch nur so etwas wie einen tröstenden
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