Granger Ann - Varady - 02
Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber
es ist offensichtlich, dass Sie keinen triftigen Grund dafür
haben, in diesem Flur zu stehen. Bitte gehen Sie jetzt!«
Sie trat an mir vorbei und öffnete die Tür.
»Hören Sie!«, flehte ich, »vielleicht wollte diese junge
Frau zu Ihnen und ist nie angekommen! Vielleicht wurde
sie auf dem Weg hierher entführt! Vielleicht wissen Sie
nichts von ihr, aber sie wusste von Ihnen und dem Frauenhaus! Wo immer sie jetzt steckt, sie braucht immer noch Ihre Hilfe!«
»Wenn Sie sich weigern zu gehen«, entgegnete sie, »werde
ich Hilfe holen, um Sie auf die Straße zu setzen!«
Sie meinte es ernst. Also ging ich.
Ich ging nach Hause in dem Gefühl, dass ich diese Begegnung
gründlich vermasselt hatte. Es würde schwierig für mich werden, noch einmal dorthin zu gehen. Doch die Frau, mit der
ich gesprochen hatte, konnte nicht rund um die Uhr da sein.
Wenn ich am nächsten Tag zu einer anderen Zeit zurückkehrte, vielleicht am frühen Morgen, bestand eine Chance,
dass jemand anderes die Tür öffnete. Vorausgesetzt, dass die
Frau von heute keine Warnung an die anderen weitergegeben hatte, würde jemand anderes vielleicht hilfsbereiter sein.
Ich bog in meine Straße ein. Ich wusste nicht, wie spät es
war, doch die Essensvorbereitungen im Frauenhaus hatten
mich schmerzhaft daran erinnert, dass ich nichts mehr gegessen hatte seit dem Frühstück, das Parry mir auf meinem
Herd zubereitet hatte.
Ich hastete auf meine Wohnung zu. Das Tageslicht
schwand bereits, und es war jene besondere Stunde, in der
alles allmählich mit seiner Umgebung verschmilzt. Das und
mein Hunger waren wohl auch der Grund, dass ich im ersten
Augenblick den großen Wagen nicht bemerkte, der gegenüber von Daphnes Haus im Schatten eines knorrigen, kranken Stadtbaums und der zunehmenden Dämmerung parkte.
Meine Aufmerksamkeit wurde erst durch das Schlagen
einer Wagentür geweckt. Der Fahrer war ausgestiegen, ein
großer, massiger Typ in einem blassgrauen, uniformartigen
Anzug mit einer dunklen Krawatte, und kam auf mich zu.
Ich warf einen verzweifelten Blick zu der Treppe in meine
Souterrainwohnung. Keine Chance, mich in Sicherheit zu
bringen, bevor der Klotz mich eingeholt hatte.
»Miss Varady?«, fragte er mit flacher, emotionsloser Stimme.
Ich konnte wählen, welche Antwort ich ihm geben wollte.
»Nein« wäre sinnlos gewesen, weil er mich bereits identifiziert hatte. Also erwiderte ich »Ja?« und blickte hinauf zu
Daphnes Fenstern in der verzweifelten und vergeblichen
Hoffnung, dass sie auf die Straße sah. Doch es war keine
Spur von Daphne zu sehen.
»Mr Szabo würde sich gerne auf ein Wort mit Ihnen unterhalten«, sagte der Klotz und nickte in Richtung der parkenden Limousine.
Ich warf einen Blick auf den Wagen. Er besaß getönte
Scheiben.
»Ich kenne keinen Mr Szabo«, antwortete ich mit zittriger
Stimme.
»Er wartet im Wagen.« Die Stimme des Riesen wurde ein
wenig tadelnd. »Er wartet bereits eine ganze Weile. Sie
kommen spät nach Hause, Miss Varady.«
»Hören Sie, das muss ein Irrtum sein …«, begann ich.
Weiter kam ich nicht. Er nahm mich beim Arm, nicht unsanft, doch entschlossen, und führte mich mit sanfter Bestimmtheit über die Straße.
Die hintere Wagentür schwang auf, und mit ihr ging die
Innenbeleuchtung an. Ich konnte trotzdem noch nicht erkennen, wer auf dem Rücksitz saß, denn er lehnte von mir
abgewandt in seiner Ecke. Ich hörte allerdings seine Stimme.
»Miss Varady? Bitte entschuldigen Sie, wenn wir Sie erschreckt haben, was nicht in unserer Absicht lag. Mein Name ist Vincent Szabo. Ich glaube, Ihr Vater und ich kannten
uns.«
Die Aussprache war präzise, auch wenn seine Stimme ein
wenig wie die einer alten Jungfer klang. Als Einleitung einer
Unterhaltung war es etwas Neues.
KAPITEL 8 Als ich ein Kind war, hatte ich wie
alle Kinder gelernt, niemals zu einem fremden Mann in den
Wagen zu steigen. Ich bin ein paar Mal per Anhalter gefahren und habe die Regel gebrochen; damals jedoch war es
stets meine freie Wahl gewesen. Diesmal wäre ich, hätte ich
eine Wahl gehabt, wahrscheinlich nicht eingestiegen. Das
war nicht die Sorte Mitfahrgelegenheit, die ich angenommen hätte. Nichtsdestotrotz saß ich, bevor ich wusste, wie
mir geschah, hinten in Szabos Plüschkiste. Ich schwankte
zwischen Neugier, den Besitzer der Stimme zu sehen, und
der Frage, ob ich je wieder mit heiler Haut aus dem Wagen
steigen würde.
Der Chauffeur war nicht mit uns eingestiegen. Er hing
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