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Granger Ann - Varady - 03

Titel: Granger Ann - Varady - 03 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die wahren Bilder seiner Furcht
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Manchmal,
wenn ich diesen Anblick sehe, wünsche ich mir, ich könnte
malen. Ich meine damit nicht, dass ich gerne ein Canaletto
gewesen wäre, sondern einfach einer von jenen Hobbymalern, die ein halbwegs vernünftiges Aquarell zu Stande bringen, das man an die Wand hängen und Freunden zeigen
kann. Doch wann immer ich einen Versuch wagte, das Resultat sah stets aus wie eines von jenen expressiven, ungelenken Werken, die man in Kindergärten bestaunen kann.
Selbst als ich noch im Kindergarten war, konnte ich es nicht
besser. Ich hatte meistens mehr Farbe an mir als auf dem
Papier, und am Ende nahmen sie mir die Wasserfarben weg
und gaben mir Buntstifte. Ich mochte die Buntstifte nicht.
Mit Buntstiften zu malen ähnelte zu sehr harter Arbeit.
    Zu meiner Rechten rumpelten die Züge über die parallel
verlaufende Eisenbahnbrücke in die Charing Cross Station
oder verließen sie polternd wieder. Ich wünschte, ich hätte
in einem der Waggons gesessen, die London verließen, ganz
egal in welche Richtung.
    Vor mir erstreckte sich der South Bank Complex mit seinen Galerien, Theatern und Konzerthallen. Das Ufer war
mit einer langen Reihe blauer und weißer Fahnen geschmückt, die im Wind flatterten. Ich fragte mich flüchtig,
ob es mir je gelingen würde, in der Schauspielkunst Karriere
zu machen oder ob es genauso hoffnungslos wäre wie mit
meinen Versuchen in Öl und Wasserfarbe oder mit Drachensteigen. Ich war fest davon überzeugt, dass ich im
Schauspielern mehr Talent besaß als auf den beiden anderen
Gebieten. Jeder hat irgendein Talent, wie Großmutter Varady stets zu sagen pflegte. Es kommt darauf an, herauszufinden, worin es liegt. (Sie sehen, Mrs Worran war nicht die
Einzige, die mit Sinnsprüchen aufwarten konnte.) Sein Talent zu entdecken und etwas daraus zu machen waren jedoch zwei verschiedene Paar Schuhe, wie ich in der Zwischenzeit erfahren habe. Großmutters Talent war es, einen
sehr guten Strudel zu backen. Sie hat versucht, es mir beizubringen, und was glauben Sie – ich konnte es nicht. Mehl
und Butter überall, nur nicht auf dem Backblech, Apfelmus,
das in der Pfanne anbuk, die Luft durchdrungen vom stechenden Geruch nach braunem Zucker. Resultat: Ein längliches Stück Gebäck, mit dem man einen Hockeypuck durch
die Gegend hätte schlagen können.
    Ich fragte mich ernsthaft, ob ich am Nachmittag überhaupt den Rückweg über diese Brücke antreten würde. Der
Umschlag mit den Negativen brannte heiß in meiner Tasche. Die Hungerford Bridge erschien mir an diesem Morgen wie die berühmte Brücke im geteilten Berlin, wo Ostblock und Westen früher Gefangene ausgetauscht haben.
Ich stellte mir vor, dass mich am anderen Ende zwei Schläger in Trenchcoats und Trilby-Hüten erwarteten. Die Vorstellung war, wie mir auffiel, gar nicht so weit hergeholt.
Gott allein wusste, was mich erwartete. Hoffentlich eine gut
organisierte Brigade vom Sondereinsatzkommando der
Met. Das Problem war nach meiner Erfahrung, dass die Polizei irgendwie nie gut organisiert zu sein schien, sondern
sich vielmehr auf die liebe britische Angewohnheit zu verlassen schien, dass man sich schon irgendwie durchmogeln
würde. Grice auf der anderen Seite, dessen war ich sicher,
war mehr als nur gut organisiert.
    Meine Nervosität stieg von Sekunde zu Sekunde. Ich begann die weiten betonierten Promenaden und den Pier am
Ende der Brücke abzusuchen. War Grice eine der Gestalten,
die dort herumschlenderten?
    In der Ecke, wo der Gehweg endet und die Treppe nach
unten ihren Anfang nimmt, saß ein junger Typ auf einer
schmuddeligen Decke und bettelte Passanten um Wechselgeld an. Niemand gab ihm etwas. Selbst die Touristen sahen
gleich, dass er unecht war. Vielleicht hielten sie ihn für einen professionellen Bettler. Ich wusste, dass er ein Polizist
war, der seine gewöhnliche Uniform für diesen Tag an den
Nagel gehängt hatte. Verdammt, dachte ich. Ist dieser Amateur das Beste, was Foxley aufbieten konnte? Ich hoffte inbrünstig, dass Grice nicht über die Brücke kommen würde.
Wenn er den Burschen sah, wusste er sofort Bescheid. Ich
weiß nicht, was Undercover-Polizisten verrät, die Art und
Weise, wie sie auf ihren großen Plattfüßen rumstehen oder
ihre Haarschnitte. Dieser Typ sah einfach nicht hungrig genug aus. Hauptsächlich erkannte ich ihn wahrscheinlich
daran, dass seine Stimme nicht richtig klang. Bettler wiederholen den ganzen Tag lang die gleiche Frage, die sie Passanten stellen, wie ein Mantra, mit

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