Grant County 03 - Dreh dich nicht um
gestoßen. Das typische Täterverhalten ändert sich so schnell nicht.«
»Klingt vernünftig«, stimmte Chuck zu, als hätte Frank ihm eine große Weisheit anvertraut.
Jeffrey gab Frank den Abschiedsbrief zurück. »Wenn die anderen hier sind, geht ihr auf die andere Flussseite. Dreht jeden Stein um, wenn’s sein muss. Verstanden?«
»Ja«, sagte Frank. »Wir fangen beim Fluss an und gehen bis zum Highway.«
»Gut.«
Matt war fertig mit den Anrufen, und Jeffrey gab ihm den nächsten Auftrag: »Ruf in Macon an und frag, ob wir ein paar Hunde kriegen.«
Chuck verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich kann ein paar von meinen Leuten – «
Doch Jeffrey tippte ihm mit dem Finger gegen die Schulter. »Und Sie halten Ihre Trottel von meinem Tatort fern«, knurrte er.
Chuck ließ sich nicht einschüchtern. »Das ist College-Gelände.«
Jeffrey wies auf den toten Jungen im Flussbett. »Das Einzige, was das College hier zu tun hat, ist den Namen des Jungen rauszufinden und zu seiner Mutter zu gehen.«
»Er heißt Rosen«, sagte Chuck trotzig. »Andy Rosen.«
»Rosen?«, wiederholte Lena überrascht.
»Kennst du ihn?«, fragte Jeffrey.
Lena schüttelte den Kopf, doch Jeffrey merkte, dass sie etwas verschwieg.
»Lena?«, wiederholte er, um ihr die Chance zu geben, die Sache von eben ins Reine zu bringen.
»Ich habe Nein gesagt«, zischte sie. Jeffrey war sich nicht sicher, ob sie log oder nur versuchte, ihn auf die Palme zu bringen. So oder so hatte er keine Zeit für ihre Spielchen.
»Die Suche untersteht deiner Verantwortung«, sagte er zu Frank. »Ich muss was erledigen.«
Frank nickte, wahrscheinlich erriet er, wo Jeffrey hinmusste.
Dann sagte Jeffrey zu Chuck: »Bringen Sie die Mutter in die Bibliothek, ich treffe mich mit ihr dort in einer Stunde.«
Er deutete mit dem Finger in Lenas Richtung. »Ich an Ihrer Stelle würde Lena die Nachricht überbringen lassen. Sie hat mehr Erfahrung in solchen Dingen als Sie.«
Jeffrey sah sich zu Lena um. Er hoffte, sie akzeptierte sein Friedensangebot. Doch so, wie sie ihn anstarrte, schien sie nicht der Meinung zu sein, er hätte ihr einen Gefallen getan.
Jeffrey hatte immer ein Ersatzhemd im Auto, doch wie sehr er auch wischte, er bekam das Blut nicht von den Händen ab. Er hatte sich die Brust und den Oberkörper mit einer Flasche Wasser abgespritzt, aber die roten Halbkreise unter den Fingernägeln ließen sich einfach nicht entfernen. Blut klebte in der Gravur seines College-Rings: zwischen seiner Football-Spielernummer und dem Jahr seines Abschlusses. Jeffrey dachte an die berühmten Szene aus »Macbeth«, als er noch einmal seine Hände abwischte. Tessa hätte nie allein auf den Hügel gehen dürfen. Drei erfahrene bewaffnete Cops hatten in weniger als dreißig Meter Entfernung herumgestanden, während sie fast erstochen worden war. Jeffrey hätte sie beschützen müssen. Er hätte irgendwas tun müssen.
Jeffrey fuhr in die Einfahrt der Lintons und parkte hinter Eddies Lieferwagen. Angst befiel ihn wie ein Fieber, und er musste sich zum Aussteigen zwingen. Seit Saras und Jeffreys Scheidung hatte Eddie Linton keinen Zweifel daran gelassen, was er von Jeffrey hielt. Trotz allem fühlte Jeffrey immer noch eine tiefe Verbundenheit mit Saras Vater. Eddie war ein guter Vater – die Art von Vater, die Jeffrey selbst gern gehabt hätte. Jeffrey kannte die Lintons seit über zehn Jahren, und während seiner Ehe mit Sara hatte er das erste Mal im Leben das Gefühl, eine Familie zu haben. Und Tessa war in jeglicher Hinsicht wie eine kleine Schwester für ihn.
Jeffrey holte tief Luft, bevor er die Einfahrt hinaufging. Der Wind frischte auf, doch Jeffrey schwitzte. Musik war aus den hinteren Räumen zu hören, und Jeffrey entschied, durch den Garten zu gehen, statt vorn an der Haustür zu klingeln. Er hielt inne, als er das Lied erkannte, das im Radio lief.
Sara war nicht für Aufwand und große Formalitäten, und so hatten sie ihre Hochzeit in kleinem Rahmen bei den Lintons zu Hause gefeiert. Im Wohnzimmer hatten sie einander das Jawort gegeben und anschließend die Feier für Familie und Freunde im Garten abgehalten. Den ersten Tanz als Mann und Frau hatten sie hier zu diesem Lied getanzt. Er erinnerte sich genau, wie es sich angefühlt hatte, sie im Arm zu halten, ihre Hand in seinem Nacken, die ihn sanft streichelte, ihr Körper gegen seinen gepresst, unschuldig und erregend zugleich. Sara war eine schreckliche Tänzerin, aber an dem Tag war sie wie
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