Grant County 03 - Dreh dich nicht um
wie Mutter Teresa.
»Jedenfalls bin ich nicht mehr der Mensch, der ich mal war.«
Jetzt zuckte Lena die Schultern, denn es war ihr offen gesagt vollkommen egal, was für ein Mensch er war. Viel mehr interessierte es sie, wie zum Teufel Jeffrey sie in Verbindung mit Andy Rosen gebracht hatte. Hatte Jill Rosen etwas angedeutet?
»So«, sagte Ethan, als hätten sie das vom Tisch. »Hast du Andy gut gekannt?«
Lena riss die Augen auf. »Warum?«
»Ich hab gehört, was der Cop über dein Höschen gesagt hat.«
»Erstens hat er nichts über ›Höschen‹ gesagt«, schnaubte sie.
»Und zweitens?«
»Geht’s dich einen Scheißdreck an.«
Er bleckte schon wieder die Zähne. Entweder hielt er das für wer weiß wie cool oder er hatte einen Tic.
Lena starrte ihn schweigend an. Als er mit dem Teebeutel spielte, zuckten die Wölbungen unter seinem T-Shirt. Selbst sein Gesicht schien muskulös. Der Kiefer und die Wangenknochen wirkten wie aus Granit gemeißelt. Irgendetwas daran, wie er kurzzeitig die Beherrschung verlor und dann sofort wiedergewann, faszinierte Lena.
Ethan hatte sie in eins der angesagten Cafés in der Nähe des Campus geschleppt. Der kleine Raum war selbst um diese Tageszeit überfüllt. Sie sah sich um, vielleicht lauerte Jeffrey irgendwo. Sie konnte immer noch seinen Zorn spüren, aber noch schlimmer war dieser Blick gewesen – er hatte sie angesehen wie eine Verräterin. Kein Cop mehr zu sein, war eine Sache, doch nun behinderte sie die Ermittlungen – war vielleicht sogar in den Fall verwickelt und log. Damit stand sie unwiderruflich auf seiner schwarzen Liste. Bei der Polizei war Jeffrey mehr als einmal sauer auf sie gewesen, doch heute hatte sie endgültig das verloren, wofür sie sich jahrelang den Arsch aufgerissen hatte: seinen Respekt.
Bei dieser Erkenntnis brach sie in kalten Schweiß aus. Glaubte Jeffrey wirklich, sie wäre verdächtig? Lena kannte Jeffreys Arbeitsweise, aber sie hatte nie auf der anderen Seite gestanden. Sie wusste, wie leicht man bei ihm in einer Zelle landete – und wenn es nur für ein paar Nächte war, während er eine Spur verfolgte. In einer verschlossenen Zelle würde Lena keine Sekunde überleben. Als Cop, selbst als Ex-Cop, war es gefährlich im Knast. Was dachte sich Jeffrey bloß? Was für Beweise hatte er? Ihre Fingerabdrücke konnten gar nicht in Andy Rosens Wohnung sein. Sie wusste ja nicht mal, wo der Junge wohnte.
Ethan unterbrach ihre Gedanken. »Es ging um das Mädchen, das überfallen wurde, oder?«
Sie sah ihn herausfordernd an. »Was machen wir eigentlich hier?«
Er schien überrascht. »Ich wollte nur mir dir reden.«
»Warum?«, fragte sie. »Weil du den Zeitungsartikel gelesen hast? Stehst du auf Vergewaltigungsopfer?«
Er sah sich nervös um, wahrscheinlich weil sie so laut gesprochen hatte. Doch für sie gab es keinen Grund zu flüstern – jeder hier wusste von Lenas Vergewaltigung. Sie konnte sich nicht mal eine Cola holen, ohne dass der Verkäufer auf die Narben an ihren Händen starrte. Keiner wollte mit ihr darüber reden, aber alle zerrissen sich begeistert hinter ihrem Rücken das Maul.
»Was willst du wissen?«, fragte sie. »Schreibst du eine Hausarbeit darüber?«
Er versuchte, locker zu bleiben. »Nein, das wäre ja Soziologie. Ich studiere Naturwissenschaften. Polymere. Metalle. Chemische Verbindungen. Mechanische Eigenschaften.«
»Ich war am Boden festgenagelt.« Sie zeigte ihm ihre Hände, drehte sie um, damit er sah, wo die Nägel durchgegangen waren. Wenn sie barfuß gewesen wäre, hätte sie ihm auch ihre Füße gezeigt. »Er hat mich unter Drogen gesetzt und mich zwei Tage lang vergewaltigt. Was willst du sonst noch wissen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich wollte nur Kaffee mit dir trinken.«
»Na, den Punkt kannst du jetzt auf deiner Liste abhaken«, zischte sie und stürzte den Kaffee in einem Zug herunter. Sie knallte den Becher auf den Tisch und stand auf. »Mach’s gut.«
»Nein.« Blitzschnell hatte er sie mit eisernem Griff am linken Handgelenk gepackt. Der Schmerz schoss ihr den Arm hinauf wie ein Stromstoß. Lena versuchte, keine Miene zu verziehen.
»Bitte«, sagte er gepresst, ohne lockerzulassen. »Bleib noch eine Minute.«
»Warum?«, keuchte sie. Wenn er noch ein bisschen fester zudrückte, würde er ihr den Knochen brechen.
»Ich will nicht, dass du denkst, ich wäre so einer.«
»Was für einer bist du denn?« Sie erlaubte sich, zu ihrer Hand hinunterzublicken.
Er wartete eine Sekunde,
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