Grant County 03 - Dreh dich nicht um
bisschen leid.
Jeffrey wurde wieder schweigsam, und Sara blickte aus dem Fenster. Sie zählte die Kreuze, die am Highwayrand die Schauplätze tödlicher Unfälle kennzeichneten. Ein paar davon waren mit Kränzen und Fotos geschmückt, und Sara war froh, dass sie sie nicht genauer erkennen konnte. Als sie ein kleines Kreuz mit einem pinkfarbenen Teddybären sah, wurde ihr das Herz schwer, und sie wandte den Blick ab. Die Fahrer vor ihnen traten auf die Bremse, schräge rote Lichter blinkten auf.
Der Verkehr wurde dichter, als sie sich Macon näherten. Jeffrey würde die Umgehungsstraße nehmen, doch um diese Zeit war es überall voll.
Jeffrey fragte: »Wie geht es deinen Eltern?«
»Sie sind wütend«, sagte sie. »Wütend auf mich. Auf dich. Ich weiß nicht. Mama spricht kaum mit mir.«
»Hat sie dir gesagt, warum?«
»Sie ist einfach besorgt«, sagte Sara. Jede Minute, die ihre Eltern länger wütend auf sie waren, tat ihr in der Seele weh. Eddie redete immer noch kein Wort mit ihr, und Sara wusste nicht, ob er ihr die Schuld an allem gab, oder ob er mit der Situation einfach nicht zurechtkam, dass es beiden Töchtern schlecht ging. Sara verstand langsam, wie schwer es war, für alle anderen die Starke zu spielen, wenn man sich eigentlich am liebsten im Bett verkrochen hätte und selbst Trost brauchte.
»In ein paar Tagen haben sie sich wieder gefangen«, tröstete Jeffrey und legte ihr die Hand auf die Schulter. Er kraulte ihren Nacken. Am liebsten hätte sie sich an seine Schulter geschmiegt, doch irgendetwas hielt sie zurück. Un vermittelt musste sie wieder an Lena im Krankenhaus denken, aufs übelste zugerichtet, dunkles Blut trat zwischen ihren Beinen aus, wo er sie aufgeschnitten hatte. Lena war eine kleine Person, doch ihr freches Mundwerk ließ sie oft größer scheinen. Auf dem Krankenbett mit den Verbänden um Hände und Füße, durch die das Blut sickerte, hatte Lena wie ein Kind gewirkt, nicht wie eine erwachsene Frau. Sara hatte noch nie jemand gesehen, der so gebrochen war.
Sie hatte Tränen in den Augen. Sara sah zum Fenster hinaus, damit Jeffrey es nicht bemerkte. Er streichelte noch immer ihren Nacken, doch seine Berührung war plötzlich nicht mehr tröstlich.
Sie sagte: »Ich versuche, ein bisschen zu schlafen.« Dann zog sich von ihm zurück und lehnte sich gegen die Tür.
Das Heartsdale Medical Center war lange nicht so imposant, wie sein Name versprach. Das zweistöckige Gebäude mit der Leichenhalle im Keller war nicht mehr als ein besseres Provinzkrankenhaus für das College am anderen Ende der Main Street. Wie gewöhnlich war der Parkplatz bis auf ein paar vereinzelte Autos leer. Jeffrey fuhr am Seiteneingang vorbei, den Sara normalerweise benutzte, und parkte vor dem Eingang der Notaufnahme. Sie wartete geduldig, bis er stehen blieb.
Jeffrey zog die Handbremse an, doch den Motor ließ er laufen. »Ich muss noch bei Frank vorbei«, sagte er und holte das Telefon heraus. »Ist es okay wenn du ohne mich anfängst?«
»Klar«, sagte Sara mit einem Anflug von Erleichterung, dass sie ein bisschen Zeit für sich haben würde.
Sie lächelte Jeffrey an, bevor sie ausstieg. Sie kannten sich seit über zehn Jahren. Sie wusste, dass er spürte, dass sie nicht entspannt war. Jeffrey mochte es nicht, wenn etwas zwischen ihnen ungesagt blieb. Vielleicht war er aber auch noch sauer wegen der Sache auf dem Parkdeck.
Sara hatte während der Fahrt zunächst nicht richtig schlafen können. Als ihr die Augen schließlich zufielen, träumte sie von Lena auf dem Untersuchungstisch. Aufgrund einer schrecklichen Verwechslung, wie sie typisch waren für derlei Träume, hatten sie und Lena die Rollen getauscht, sodass plötzlich Sara dort auf dem Tisch lag, mit gespreizten Beinen, der Körper entblößt, während Lena mit Wattestäbchen Gewebeproben aus Saras Vagina nahm und auf der Suche nach Fremdkörpern ihr Schamhaar durchkämmte. Als Lena das Schwarzlicht anknipste, um Samenspuren und andere Körperflüssigkeiten sichtbar zu machen, verwandelte sich Saras Unterleib in eine brennende Fackel.
Sara rieb sich fröstelnd die Arme, als sie den Parkplatz überquerte, obwohl es nicht kalt war. Sie sah zum Himmel hinauf, der schwarz und bedrohlich wirkte. »Da braut sich was zusammen«, murmelte sie vor sich hin. Das hatte ihre Großmutter früher immer gesagt, als Sara klein war. Sie lächelte, als sie daran dachte, wie ihre besorgte Großmutter mit verschränkten Händen in der Küchentür stand, auf
Weitere Kostenlose Bücher