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Grappa 03 - Grappa macht Theater

Grappa 03 - Grappa macht Theater

Titel: Grappa 03 - Grappa macht Theater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Wollenhaupt
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durchsichtig. Ihre Stimme passte nicht zu dem Körper, denn sie hatte einen tiefen melodischen Klang.
    Ich wurde in die gute Stube gebeten. Anneliese von Prätorius ging vor mir her, und ich bemerkte, dass sie das Bein etwas nachzog.
    Die Möbel im Zimmer waren antiquarisch auf gehobenem Niveau, nicht dieser Weichholz-Krempel, der von Flohmarkt zu Flohmarkt gekarrt wird, sondern richtig noble Teile.
    »Wann haben Sie ihren Mann zum letzten Mal gesehen?«, kam ich gleich zur Sache.
    Ihre Antwort war prompt. »Bestimmt seit vier Monaten nicht mehr. Ich habe mich allerdings auch nicht um häufige Kontakte bemüht.« Sie sprach ruhig und blickte mich dabei mit einem offenen Blick an. Ihre Haut war wie aus Pergament und wies winzige kleine Fältchen auf. Durch ihre Schlankheit sah sie gut und gern zehn Jahre jünger aus. Sie musste ungefähr fünfzig sein.
    »Haben Sie manchmal miteinander telefoniert?«, wollte ich wissen. »Immerhin gibt es ja Ihren Sohn.«
    »Nello und Aristide haben sich nie gut verstanden. Je älter Aristide wurde, desto weniger wollte er mit seinem Vater zu tun haben. Ich kann fast sagen, dass zwischen beiden eine unüberwindliche Abneigung bestand.«
    »Wie kam das?«
    »Nun, Nello ist extrovertiert, und Aristide ist nach mir geraten, ist also eher ruhig und sensibel. Nello kann laut und gewöhnlich sein, mein Sohn dagegen hasst alles Laute und Grelle. Verstehen Sie, was ich sagen will?«
    Ich verstand. »Seit wann ist Ihre Ehe geschieden?«
    »Fragen Sie lieber, wie lange wir verheiratet waren«, schlug sie vor, »ganze zwei Jahre. Diese zwei Jahre waren allerdings die längsten meines Lebens.«
    »Was ist passiert?«
    Sie zögerte. Doch dann sagte sie: »Na gut, ich werde es Ihnen erzählen, und Sie können es meinetwegen auch schreiben, denn es ist die Wahrheit. Der größte Schöngeist dieser Stadt, hochgelobt und hochgeehrt, ist ein brutaler Schläger. Und er hat nicht nur mich regelmäßig verprügelt, sondern auch sein kleines Kind.«
    »Wirklich? Das ist wirklich kaum zu glauben! Warum hat er das getan?«
    »Warum schlagen Männer zu? Als ob immer ein Grund nötig sei. Haben Sie bemerkt, dass ich ein Krüppel bin? Natürlich haben Sie das. Das war Nello. Er hat mich vor zwanzig Jahren die Treppe hinuntergeworfen. Weil das Essen kalt war und das Kind gebrüllt hat. Er ist damals knapp an einer Verurteilung wegen Körperverletzung vorbeigekommen.«
    Ihr Gesicht hatte durch die Erinnerung eine rosige Gesichtsfarbe bekommen. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass sie die Wahrheit sagte. Sie hatte das Weinen schon vor langer Zeit aufgegeben.
    »Wie haben Sie beide sich kennengelernt?«
    »Im Theater. Ich stand auf der Bühne als Gretchen, und er war bereits ein angesehener Theaterkritiker.«
    »Konnten Sie danach wieder spielen?«
    »Mit dem Bein?«, fragte sie mit Hohn in der Stimme. »Die jugendliche Geliebte, die das Bein nachzieht? Sie machen Witze!«
    »Verzeihen Sie, die Frage war töricht. Was macht Ihr Sohn?«
    »Er studiert. Ausgerechnet Theaterwissenschaften. Doch er will zum Glück kein Rezensent werden, sondern Dramaturg.«
    »Darf ich ein Foto von Ihnen machen?«
    »Das möchte ich nicht.«
    Ich sah im Geiste Jansens Layout abstürzen. Wenn sie sich jetzt schon sträubte, wie sollte ich nur an das Hochzeitsfoto herankommen?
    »Wie hat Nello vor 20 Jahren ausgesehen? Haben Sie Fotos von damals?«
    Sie ging zum Schrank und holte einen Ordner heraus. Er war voll mit Zeitungsausschnitten. Sie fand schnell, was sie suchte.
    »Hier, das hat damals ein Zeitungsreporter gemacht!«
    Ich blickte auf das verblichene Schwarz-Weiß-Foto: Der große, kräftige Nello mit schwarzem, dickem Haar und lachendem, halb geöffnetem Mund hebt eine zierliche, bildhübsche Frau in die Höhe. Seine Hände hat er um ihre Taille gelegt. Er trägt sie wie eine Beute. Er sieht prächtig aus in seinem schwarzen Anzug, und die Lebenslust strahlt aus seinen Augen. Vielleicht auch ein bisschen Rücksichtslosigkeit und eine große Portion Egoismus.
    In der Bildunterzeile stand:
    Ein schönes Paar gab sich gestern Morgen das Ja-Wort. Nello von Prätorius, Kulturredakteur, und die junge Schauspielerin Anneliese Munk, die in der letzten Theaterspielzeit als Gretchen im »Faust« Furore machte.
    »Darf ich ein Foto von dem Zeitungsausschnitt machen?«
    Sie nickte traurig. Ich knipste. Es würde kein Meisterwerk werden, aber der Fotograf könnte mit Retusche noch etwas Klarheit in die Konturen bringen.
    »Warum haben

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