Grappa 03 - Grappa macht Theater
gerade einen Vertrag mit einem Herrenmagazin abgeschlossen. Eine ganze Fotoserie! Wenn ich hier raus bin, mache ich sofort die Studiotermine.«
»Da müssen wir aber noch etwas aufgepäppelt werden!«, sagte ich mütterlich. »Haben wir denn heute schon unsere Pillen genommen?« Sie nickte und wollte zur Zigarettenschachtel greifen, doch ich war schneller.
»Aber, aber!«, tadelte ich. »Rauchen im Krankenzimmer, wo gibt es denn so was? Wir wollen doch keinen Rückfall erleiden.«
Sie schmollte. Ich betrachtete sie. Als naive Eve im »Zerbrochnen Krug« war sie wahrlich eine eklatante Fehlbesetzung, da hatte Nello von Prätorius recht. In ihrem noch jungen Gesicht war so viel grelle Lebensgier, dass mich fröstelte. Die Frau war aus Stahl, der den Anstrich von schwarzem Samt trug. Ihre Augen waren dunkel und etwas schräg gestellt, ihre Nase hatte einen kurzen breiten Rücken, die Oberlippe war leicht aufgeworfen. Der Mund war groß und leicht geöffnet, so dass die kleinen weißen Zähne durchschimmerten.
»Ich soll Sie schön von Herrn Beutelmoser grüßen«, lächelte ich. »Er wünscht Ihnen alles Gute!«
Sie verstand nicht und machte ein verblüfftes Gesicht.
»Ich kenne keinen Beutelmoser!«, sagte sie dann. »Wer soll das sein?«
»Ein Schriftsteller. Lazarus Beutelmoser! Er hat mir selbst erzählt, dass er Sie näher kennt.«
»Ich kann mich nicht an ihn erinnern.«
»Er ist doch genau wie Sie Mitglied in diesem Verein, wie heißt er doch gleich?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kenne diesen Beutelmann nicht.«
»Beutelmoser«, korrigierte ich, »Lazarus. Er schreibt Bücher. Er ist ein Freund dieses Kritikers Nello von Prätorius. Der, der verschwunden ist. Den kennen Sie aber doch, oder?«
»Ja natürlich, den kenne ich. Jeder Schauspieler kennt den, und ich kann nicht sagen, dass der Herr besonders beliebt ist. Deshalb befindet er sich vermutlich auch in Schwierigkeiten. Was interessieren Sie sich eigentlich dafür? Ich dachte, Sie wollen mich untersuchen! Sie sind doch Ärztin?«
»Natürlich«, beruhigte ich sie, »doch man trifft in meinem Job nicht alle Tage eine solch berühmte Frau wie Sie! Ich habe in der Zeitung einiges über Sie gelesen. Dieser junge Mann mit der Pistole, traurig und romantisch zugleich. Hat er Sie sehr geliebt?«
»Kann sein!« Ihr Interesse an der Frage hielt sich in engen Grenzen. Sie war misstrauisch geworden, das machte sie einsilbig. Ich musste sie durch ständiges Plappern einlullen.
»Eine Story wie im ganz großen Film! Er hat aus Liebe zu Ihnen seine Karriere ruiniert! Tut Ihnen das nicht irgendwie leid?«
Sie schenkte mir ein müdes Lächeln und fing an, ihre Fingernägel zu feilen. Der Nagellack stand griffbereit auf dem Nachttisch – ein dunkles blutiges Rot.
»Warum soll mir das leidtun? Das ist bestimmt nicht mein Problem! Ich bin für einen Verrückten nicht verantwortlich. Ich war ein paarmal mit ihm essen und so.«
Was »und so« bedeutete, verriet sie nicht, aber ich konnte es mir denken.
»Warum hat er im Theater diesen Kritiker bedroht?«
»Woher soll ich das wissen? Vermutlich wollte er ihn so überreden, positiv über mich zu schreiben. Schließlich war die Eve meine erste große Theaterrolle. Aber – zum Glück hat sich das Blatt gewendet. Der Skandal wird mir beruflich sehr viel weiterhelfen. Ich werde vielleicht eine Rolle in einer Fernsehserie bekommen! 25 Folgen in der ›Traumschiff‹-Serie mit Sascha Hehn! Zwölf Monate Dreharbeiten in den schönsten Urlaubsländern dieser Erde! Da pfeife ich auf diese dämlichen Klassiker mit ihren dämlichen Inhalten! Und erst recht auf dieses dämliche Publikum in dieser blöden Provinzstadt!«
Sie begann den Nagellack zu schütteln. »Moment!«, rief ich. Dann setzte ich mich auf die Bettkante und nahm ihren Arm. »Bevor Sie mit den Lackarbeiten beginnen, wollen wir mal nach Ihrem Puls schauen!« Ich umklammerte ihr Handgelenk und guckte auf die Uhr. Der Zeiger bewegte sich wie immer. Von Pulsschlägen merkte ich nichts. Vermutlich hat sie gar kein Herz, fiel mir ein, nur hat es noch niemand bemerkt.
»Glauben Sie, dass dieser Anwalt etwas mit dem Verschwinden des Kritikers zu tun haben könnte?«
»Quatsch«, meinte sie abwartend, »erstens ist er sofort verhaftet worden, zweitens könnte er in Wirklichkeit keiner Fliege was zuleide tun.«
»Vielleicht hat er Hintermänner?«
»Und wo sollen die sitzen? In der Anwaltskammer? Nein, Boris hatte überhaupt keine Freunde, das war ja sein
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