Grappa 03 - Grappa macht Theater
Problem. Aber als Anwalt war er nicht schlecht. Aber – warum erzähle ich Ihnen das alles? Sie sind doch keine Ärztin, oder? Sind Sie von der Polizei oder so?«
»Natürlich bin ich Ärztin. Fragen Sie doch den Chefarzt. Sehen Sie denn nicht meinen weißen Kittel?«
Das Argument beruhigte sie.
»Ihr Puls ist in Ordnung«, stellte ich fest, »jetzt dürfen Sie eine rauchen!«
Ich reichte ihr die Schachtel zurück, und sie griff gierig danach. Als der Brennstab qualmte, hüpfte sie behände aus dem Bett ins Bad und kam mit einem Piccolo zurück.
»Für den Kreislauf!«, lachte sie. Sogar ein langstieliges Glas hatte sie im Nachttisch deponiert. Der Sekt perlte. Das Nasse war nach Sekunden verschwunden.
»Das tut guuut!«, jubelte sie und leckte sich die Lippen. Die kleinen Raubtierzähne blitzten.
Ein schönes Foto wäre das, träumte ich vor mich hin. Ein junger kranker Mensch, dem »Schnitter Tod« soeben von der Sense gehüpft. Der Fotoapparat wartete schussfertig in meiner Arztkitteltasche.
»Ein Bildchen für meine alte Mutter!«, rief ich begeistert aus. »Bitte lächeln! Ja, sooo ist guut! Das Sektglas bitte vom rechten Auge weg, und die Zigarette schön im Mundwinkel lassen. Und den Rauch in meine Richtung blasen! Ja, prima! Vielen Dank, Frau Elsermann. Meine Mutter wird sich über das Foto freuen!«
Ich verstaute die Kamera, entschuldigte mich insgeheim bei Mama für meine dreiste Lüge und bat den Gott aller seriösen Journalisten um Verzeihung. Dann fing ich an, den geordneten Rückzug vorzubereiten, denn draußen auf dem Flur kam Unruhe auf.
Die Tür zum Krankenzimmer öffnete sich. Eine mittelalte und mittelschwere Häubchenträgerin schob ihre flachen Schuhe über den gewienerten Boden. Ihre Stimme strotzte vor ungebrochener Einsatzfreude und wilder Entschlossenheit, als sie sagte: »So, da wollen wir mal den Puls fühlen, Frau Elsermann!«
Richter Adam in neuer Besetzung
Sprich, Evchen, hörst du, sprich jetzt, Jungfer Evchen!
Gib Gotte, hörst du, Herzchen, gib, mein Seel,
Ihm und der Welt, gib ihm was von der Wahrheit.
Denk, dass du hier vor Gottes Richtstuhl bist,
Und dass du deinen Richter nicht mit Leugnen
Und Plappern, was zur Sache nicht gehört,
Betrüben musst. Ach, was! Du bist vernünftig.
Ein Richter immer, weißt du, ist ein Richter,
Und einer braucht ihn heut, und einer morgen.
Nello von Prätorius stand in einem schlecht ausgeleuchteten Raum. Er hielt sich an einem Stuhl fest, das Aufrechtstehen bereitete ihm sichtlich Mühe. Seine weißen dicken Haare hingen kraftlos und strähnig herunter, seine Stimme hatte nicht den sonoren kraftvollen Klang, der sie zu etwas Unverwechselbarem mache. Sie war heiser und voller Angst.
»Noch einmal«, forderte eine Stimme im Hintergrund, »und bitte mit mehr Inbrunst. So, wie Sie es als Kritiker von einem Schauspieler verlangen würden!«
Nello setzte wieder an, doch er war mit seinen Kräften am Ende. Mehr als ein Krächzen brachte er nicht zustande. Weinend fiel er auf den Stuhl. Die Kamera näherte sich dem Bild des Jammers genüsslich.
Eine Person trat ins Bild. Sie war nur von hinten zu sehen, der Kopf war mit einem dieser weiß-blauen Tücher verhüllt, die die Palästinenser tragen.
»Hier ist Ihr Stock«, sprach der Mann mit strenger Stimme, »und jetzt stellen Sie sich hin, und auf geht's. Das bisschen Text werden Sie ja wohl noch schaffen. Wie haben Sie über die Aufführung geschrieben? ›Üben, üben, üben – sollen diese Dilettanten der Bühnen‹. Also üben Sie! Erfüllen Sie Ihren eigenen Anspruch!«
Nello rappelte sich hoch und stützte sich auf seinen Spazierstock. Der silberne Entenkopf glänzte höhnisch in dem wenigen Licht.
Sprich, Evchen, hörst du, sprich jetzt Jungfer Evchen!
Gib Gotte, hörst du, Herzchen, gib, mein Seel,
Ihm und der Welt, gib ihm was von der Wahrheit.
Nello brach zusammen. Sein Körper wurde von Weinkrämpfen geschüttelt. Es reichte mir. Ich drückte die Vorlauftaste, um ans Ende zu kommen. Das Bild verschwand. Ich betätigte die Stopp-Taste meines Video-Rekorders und wählte die Nummer der Redaktion.
»Ich habe eine Spur von Prätorius. Er ist entführt worden. Jemand hat mir anonym eine Video-Kassette zugeschickt.«
Die Hauptdarsteller betreten die Bühne
Die Polizei bildete eine Sonderkommission. Doch auch die geschulten Beamten konnten die Video-Kassette noch so oft abspielen, das Ergebnis blieb dasselbe: Weder der Raum, in dem Prätorius festgehalten wurde, noch der
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