Grappa 03 - Grappa macht Theater
Mann, der die Regieanweisungen gab, waren zu identifizieren. Alle standen vor einem Rätsel.
Die Kripo vernahm Schauspieler, die in der Vergangenheit besonders unter Nellos hämischer Kritik gelitten hatten – ohne Ergebnis. Die wenigen Freunde, die er hatte, konnten ebenso wenig Hinweise auf die Entführer geben wie seine Feinde.
Mich bewegte in diesem Chaos aus ernsthaften Ermittlungen, wilden Gerüchten und gewagten Ursachenforschungen eine ganz profane Frage, auf die noch niemand gekommen war: Warum schwieg Gallo Pinto?
Er hatte keine Zeile mehr von sich gegeben, seitdem sein Kontrahent von der Bildfläche verschwunden war! Die Zeitschrift »Melpomene«, für die er schrieb, schien ihre Existenz mit Nellos Verschwinden beendet zu haben.
Ich ging ins Archiv und fischte mir eine alte Ausgabe heraus. Kein Heft für mich. Bleiwüsten, durchbrochen von schlecht gestalteten Überschriften. Ab und zu ein Schwarz-Weiß-Foto von Opernszenen oder Theaterinszenierungen. Porträts von korpulenten Sängerinnen der fünfziger Jahre, bei denen die Spachtelmasse im Gesicht verhinderte, dass sich die Haut altersgerecht entspannen konnte.
Im Impressum war kein Name, sondern nur eine Adresse angegeben, presserechtlich eigentlich nicht möglich. Aber niemandem schien es bisher aufgefallen zu sein. Nachdenklich ging ich in die Redaktion zurück.
»Bist du endlich soweit?«, fragte Jansen, der auf meine 300 Zeilen wartete. Ich nickte und ließ sie ausdrucken. Die Story gefiel mir. Endlich war es vorbei mit dem Gesülze von schlechten Ehen, wunderschönen, aber verdorbenen Schauspielerinnen, ausgerasteten Liebhabern oder speichelsprühenden Lustgreisen. Sie alle rückten in den Hintergrund, weil die wirklichen Hauptdarsteller dieses Dramas auf der Bühne erschienen waren. Und die bestimmten jetzt den Ablauf und gaben die Regieanweisungen. Es kam Drive in die Aufführung.
»Sehr schön«, lobte Jansen mein Manuskript, »die Kidnapper als Rächer der kleinen Looser, die den arroganten Kritiker so auf sich selbst reduzieren, dass er nur noch ein armseliges Würstchen ist. Grausam, aber spannend! So herzlos wie die böse Welt, in der wir leben müssen!«
»Ach weißt du, Peter«, sinnierte ich mit der müden, aber doch zufriedenen Erschlaffung eines Menschen, der sich gerade geistig verausgabt hat, »es gehört verdammt wenig dazu, ein Großmaul zum Wurm zu machen. Nimm einem Kurzsichtigen die Brille weg, zieh einem Macho ein Dirndl an oder lass den armen Nello eine Theaterszene rezitieren – da geht die Contenance blitzartig flöten! Der Mensch ist ein armseliges Stück Natur, aufgeschmissen ohne innere und äußere Hilfsmittel. Es ist eine Welt der Illusionen, in der wir unsere Zeit verbringen.«
Ich lauschte dem Klang meiner Worte und fand sie wunderbar. In den 300 Zeilen steckte meine gesammelte Sensibilität, gepaart mit harter Recherche, scharfem Verstand und wunderbaren Formulierungen. Ich hatte plötzlich Sehnsucht danach, auch einmal über die schönen Dinge der Welt so ausführlich zu schreiben, statt mich in Verbrechen und Gewalttaten zu tummeln. Die Menschen sollten künftig durch mich nicht nur informiert und unterhalten werden, nein, ich wollte sie auch einmal beglücken. Ich bekam so selten Gelegenheit, Gutes zu tun.
»Grappa-Mäuschen, du hast wieder diesen träumerischen Blick! Denkst du wieder über die vielen geschundenen Menschen dieser Welt nach? Lass es, es steht dir nicht! Es muss auch Leute geben, deren Leben ohne gute Taten sinnlos verstreicht. Ich glaube, du brauchst umgehend einen Sekt!«, lachte Jansen gut gelaunt und hatte die Hasche schon in der Hand. Er schenkte zwei Gläser ein, und wir ließen sie klingen.
»Wir liegen jedenfalls weit vor der Konkurrenz!«, freute er sich. »Warum nur haben die Kidnapper ausgerechnet dir das Video geschickt?«
»Wem sollten sie es sonst schicken? Immerhin bin ich die Polizeireporterin eines angesehenen Bierstädter Blattes! Wie viel wäre es dir denn nun wert, wenn ich rauskriege, wer die Entführer sind – natürlich vor der Polizei!«
»Eben noch bist du knapp am Kloster vorbeigeschrappt und nun das! Wenn du nur nicht geldgierig wärst!« Er präsentierte mir seine Ach-unserer-Zeitung-geht's-so-schlecht-Miene.
»Nun sag schon!«
»Noch mal 1000 Mark oben drauf. Ist das okay?«
»Bei der ›Bild‹ könnte ich mehr kriegen.«
»Ich weiß«, meinte er unbeeindruckt, »doch da hast du kaum Einfluss darauf, wie deine Story vermarktet wird und wie sie
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