Grappa 03 - Grappa macht Theater
für den Posten. Unser ehemaliger Schauspieldirektor, der Vorgänger von Knulp zum Beispiel. Der langweilt sich zurzeit in den neuen Bundesländern.«
»Ist das nicht der, der mit der Theaterkasse durchgebrannt ist?«
»Ach Quatsch! Die Sache ist längst geklärt. Er ist halt ein Schussel. Immer noch besser als jemand, der sein Geld mit der Ausbeutung von Nachtwächtern verdient.«
»Ich sehe schon, die Bierstädter Kultur ist in den besten Händen!« Es sollte ironisch klingen.
Wir verabredeten uns für den Abend. Ich setzte meinen Kopfhörer auf und zog mir Beethovens »Fidelio« rein. Richtig konzentrieren konnte ich mich nicht, denn ich dachte dauernd an einen blassen Mann mit breitem Gesicht, der so gerne Schauspieler geworden wäre.
Analphabeten kämpfen nicht für die Pressefreiheit
Im »Pinocchio« servierte mir Luigi köstliche Pasta mit in Butter goldgelb gebackenem Salbei. Es geht doch nichts über ein gutes Essen in meinem Stammrestaurant, dachte ich, mit vollem Magen lässt sich besser denken.
Ich versuchte, Höfnagel die Speisekarte zu erklären, denn seine Kenntnis der italienischen Küche erschöpfte sich in »Pizza«.
»Wie kommt es«, fragte ich, »dass Sie als Kulturmensch so gar keinen Wert auf gehobene Lebensart legen? Die ständige Beschäftigung mit dem Guten und Schönen hätte Sie doch längst erhöhen müssen?«
»Ich stamme aus kleinen Verhältnissen und musste mir alles im Leben erkämpfen«, gestand er und machte sich über die Grissinis her, die im Nu verschwunden waren. »Und im Studium habe ich dann später gelernt, dass die Kultur stets das Vorrecht einer kleinen Minderheit war, eine Sache von Reichtum, Zeit und zufälligem Glück. Die Kultur erhebt das Individuum, ohne es aus seiner tatsächlichen Erniedrigung zu befreien.«
»Na und? Das war vielleicht früher einmal so. Aber heute hat doch jeder die Chance, sich an Kunst und Kultur zu erfreuen.«
»Glauben Sie, dass Feudels Wachmänner ins Theater gehen? Oder eine Ausstellung besuchen?«
»Warum nicht? Die Bühnen werden hoch genug aus öffentlichen Geldern subventioniert, so dass sich auch Nachtwächter Karten kaufen können!«
»Was nützt den Analphabeten die Pressefreiheit?«
»Wenn die irgendwann doch mal lesen lernen?«
»Sie sind eine Romantikerin, Frau Grappa!«
»Und Sie haben Ihre Sturm- und Drang-Zeit in den 68ern nicht richtig verdaut. Wenn Sie das alles wissen, warum hat Bierstadt dann so eine miefige Provinzkultur?«
Er zuckte die Schultern und trank das Glas Barbera in einem Zug aus. »Jede Stadt hat die Kultur, die sie braucht. Der ›Zigeunerbaron‹ und die ›Gräfin Mariza‹ sind einfach nicht totzukriegen. Doch auch die ›Antigone‹ von Sophokles oder Goethes ›Iphigenie‹ haben ihre Zuschauer, wenn auch nicht sehr viele. Dazwischen versuche ich zu balancieren.«
»Na also!«, tröstete ich ihn. »Schenken Sie den Leuten doch Träume von Schönheit, Edelmut und Reichtum! Lassen Sie sie schwelgen in Heldentaten, die sie selbst nie vollbringen würden! Kultur und Kunst entgiften die Wahrheit und rücken sie ab von der Gegenwart.«
»Doch was in der Kunst geschieht, verpflichtet zu nichts!«
»Sie haben eine merkwürdige Ideologie! Zwischen Marx, Marcuse und Lieschen Müller.«
»Besser eine Ideologie als gar kein Hobby!«
Ich lachte und sagte: »Ich mag keine Ideologien. Sie sind grimmige Bollwerke in unserer Seele. Der Verstand wird durch sie ins Exil geschickt.«
Wir schwiegen, vermutlich weil wir uns beide intellektuell verausgabt hatten. Dann kam der Hauptgang.
»Reden wir über die ›Loge‹!«, schlug ich vor. »Ich hab mir im Vereinsregister die Karteikarte angeguckt. Sieben Gründungsmitglieder gibt es – wie bei jedem Karnickelverein. Bis auf zwei kenne ich alle. Feudel, Beutelmoser, Prätorius, Pistor und Beate Elsermann. Wer aber sind Otto Grünger und Ernst Lotterbeck?«
»Grünger ist auch da drin? Interessant! Otto Grünger hat ein kleines teures Weinlokal im Kreuzviertel. Da trifft sich die ›Loge‹ zu ihren monatlichen Weinproben.«
»Und wer ist Lotterbeck?«
»Keine Ahnung. Ich habe den Namen nie gehört. Ist er wichtig?«
»Kann ich nicht sagen. Aber ich habe immer gern alles komplett.«
Der Ziegenbraten auf sizilianische Art schmeckte hervorragend. Er wurde mit Knoblauch, Chilischoten, Granatäpfeln und Orangensaft geschmort. Ein oder zwei Prisen Zimt gaben dem »Capretto« einen aparten Hauch. Ich hatte mir einen Corvo Rosso dazu bestellt.
Als ich wieder
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