Grappa 08 - Grappa und die fantastischen Fuenf
niedergeschlagen. »Wahrscheinlich eine falsche Spur. Alle Spuren sind falsch. Ich weiß auch nicht mehr weiter.«
»Dann geht es Ihnen genauso wie mir«, gestand er ein. »Was ist Leon Pirelli eigentlich für ein Mensch?«
»Er ist harmlos«, sagte ich. »Er hatte Angst, dass die Mörder des Iraners ihn auch umbringen würden. Weil er Augenzeuge war, wie die Leiche ins Trümmerfeld geschafft wurde.«
»Und? Glauben Sie ihm?«
»Damals tat ich es. Er ist ein sympathischer junger Mann. Heute würde ich ihm natürlich die Tür vor der Nase zuschlagen – immerhin könnte er ein Mörder sein.«
»Ich muss jetzt gehen«, sagte Klima und stand auf. »Tut mir leid, dass meine Leute ein bisschen Unordnung gemacht haben.«
Ich sah auf den Wohnzimmertisch, auf dem sich Papiere und Ordner tummelten.
»Macht nichts. Ich musste sowieso aufräumen.«
»Rufen Sie mich bitte an, falls sich Pirelli bei Ihnen meldet«, meinte Klima. Er war völlig übermüdet und konnte kaum noch klar artikulieren.
»Das tut er bestimmt nicht«, prophezeite ich.
Wieder allein, sah ich mir die Bescherung an. Die Beamten hatten nicht nur meine Papiere durcheinandergebracht, sondern auch meinen Kleiderschrank ausgeräumt. Es würde ein paar Stunden dauern, bis ich die Spuren der Hausdurchsuchung beseitigt haben würde.
Jetzt nicht, beschloss ich. In der Küche schlug ich zwei Eier in die Pfanne – mir war nach einem kräftigen Frühstück. Leichte Alkoholkopfschmerzen pochten an meine Schläfen. Ich ging Richtung Bad, um Aspirin zu suchen, musste durch den Flur, und da sah ich ihn: Ein brauner Brustbeutel aus feinem Leder lag auf der Hutablage. Ich griff danach. Er war ziemlich abgewetzt, an den Rändern erkannte ich Schweißspuren. Leon oder Solo musste ihn bei mir vergessen haben, dachte ich, und die Bullen haben das Teil durch ihre Sucherei zu Tage gefördert.
Instinktiv ahnte ich, dass die kleine braune Tasche mich ein gutes Stück weiter bringen würde. Ich lief aus dem dunklen Flur in die Küche. Mit zitternden Händen öffnete ich zunächst den Druckknopf, dann den Reißverschluss. Im Inneren ertastete ich eine Plastikhülle, zog sie behutsam heraus. Ich hielt ein Foto in der Hand, das drei Jugendliche zeigte. Ein blondes, zartes Mädchen saß zwischen zwei Jungen auf einem Jägerzaun. Das Bild war wohl im Frühling aufgenommen worden – im Hintergrund blühte ein alter Kirschbaum. Das Mädchen trug eine rote Hose und eine weiße Bluse, ihre Hände hatte sie auf die Schultern der beiden jungen Männer gelegt. Alle drei lächelten selbstbewusst in die Kamera – als könne ihnen nichts auf dieser Welt irgendetwas anhaben. Der ältere der beiden jungen Männer – ich schätzte ihn auf knapp über Zwanzig – hatte den dunkelhaarigen Kopf ein wenig zu dem Mädchen gewandt, mit dem linken Arm hatte er die Taille der Kleinen umfasst.
Der zweite Junge – vielleicht sechzehn Jahre alt – hatte ebenfalls dunkles Haar, es war lockig und dicht. Er trug eine kurze Hose und hatte ein paar Schrammen auf den Knien. Obwohl sein Mund lächelte, strahlten die großen Augen Verlorenheit aus.
Das Foto zeigte Leon Pirelli und Mustafa Rotberg. Und das Mädchen zwischen ihnen war bestimmt Lena Pirelli. Ich drehte das Foto um und las: Mai 1980 .
Ausflug in die Vergangenheit
In meinem Hirn ging es drunter und drüber. Der Schlüssel zu dem Fall lag fast zwanzig Jahre zurück – da war ich mir nun sicher. Schade, dass ich nicht wusste, wem der Brustbeutel mit dem Foto gehörte – Solo oder Leon. Vielleicht war's auch egal.
Meine neue Entdeckung machte mich so kribbelig, dass ich mich in der Redaktion nur mühsam auf meinen Artikel konzentrieren konnte.
»Was ist los mit dir? Du bist so unnatürlich ruhig!« Jansen hatte etwas bemerkt.
»Die Nacht war zu kurz«, brummte ich. »Und ich habe einen leichten Brummschädel. Zu viel Wein, zu wenig Schlaf. Beides ist Gift für Frauen über Vierzig. Und dann noch diese Hausdurchsuchung!«
»Du siehst wirklich ziemlich käsig aus, Grappa. Mach bitte erst schlapp, wenn der Artikel im Kasten ist.« Jansens Mitgefühl rührte mich.
»Aye, aye, Sir«, murmelte ich abwesend. Als Jansen mein Zimmer verlassen hatte, wählte ich Solos Nummer. Niemand hob ab. Er schien mal wieder verschwunden zu sein.
Wenigstens Hauptkommissar Brinkhoff war erreichbar. »Haben Sie ein bisschen Zeit für mich?«, säuselte ich durchs Telefon.
»Kommt drauf an«, meinte er.
»Ich brauche Ihren Rat. Ich habe einen Gedanken im
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