Grappa 13 - Grappa und die acht Todsuenden
»Das erkennt man auch daran, wie er die Morde inszeniert hat. Das lässt eigentlich nur einen Schluss zu.«
»Da bin ich aber neugierig!«
»Sie sind der Mörder.«
»Ach.« Er schien ein wenig erstaunt. »Und warum?«
»Keine Ahnung. Ich kenne Sie zu wenig, um ein Motiv konstruieren zu können. Sagen Sie mir eins!«
Jetzt griff der Professor doch nach einem Stück Brot.
»Geltungstrieb?«, überlegte er. »Oder wie wäre es mit der Lust am Katz-und-Maus-Spiel? Könnte Ihnen das gefallen, Frau Grappa? Mal auszuprobieren, ob es den perfekten Massenmord gibt?«
»Dann wären Sie hochgradig neurotisch.«
»Und wer sagt Ihnen, dass ich alle meine Sinne beisammen habe?«
Ich überlegte. Dann sagte ich: »Okay. Ich werde Sie ganz oben auf meine Liste setzen.«
»Das ehrt mich aber«, lächelte Mahler maliziös und hob das Glas mit dem rubinroten Vino nobile de Montepulciano. »Darauf stoßen wir an!«
Unsere Hände berührten sich, doch taten wir beide so, als sei es Zufall gewesen.
Endlich war Mahlers Vorspeise da. Die Champignons brodelten noch, als der Kellner den Teller vorsichtig platzierte.
Ich verließ meinen Körper und stellte mich neben uns, um uns eingehend zu betrachten.
Zwei Menschen saßen da, eine Frau und ein Mann, nicht mehr jung, aber auch noch nicht steinalt, vom Leben nicht enttäuscht, aber dennoch ohne die Illusion, dass die Begegnung mit einem neuen Menschen wirklich etwas ändern könne am eingefahrenen und lieblosen Alltag.
Nein, wehrte ich mich, so war ich nicht und so wollte ich auch nicht leben. Ich blickte mich um. Die anderen Paare, die hier – meist sich gegenseitig anschweigend – gepflegt und teuer speisten, waren wie wir, ein Tisch gegen den anderen austauschbar, ein Mann gegen den anderen und eine Frau gegen die andere.
Ich schloss die Augen. Hörte in mich hinein, versuchte herauszufinden, was ich eigentlich suchte und warum gerade an diesem Ort.
Die Geräuschkulisse war so diffus wie der Anblick der Menschen im gedämpften Licht des Restaurants. Es war nicht möglich, sich auf einzelne Töne zu konzentrieren, erwischte ich mal einen Laut, verlor ich ihn Augenblicke später wieder, ich lauschte einem Fetzen Musik oder dem Klingen eines Messers auf einem Teller, versuchte den Tönen bis zum Ende zu folgen – vergebens.
»Was ist mit Ihnen?«, fragte Mahler.
Ich schreckte auf. Er muss dich für völlig überspannt halten, dachte ich und sagte: »Nichts. Es geht mir gut.«
Der Kellner räumte die Teller ab, kam zurück und fegte die Brotkrümel mit einem winzigen Besen zusammen. Seine Bewegungen waren hastig und ein bisschen geduckt, als würde er jeden Augenblick einen Tadel erwarten.
Ein Brotbröckchen landete auf meinem Schoß. Der junge Mann zögerte, warf mir einen unsicheren Blick zu und murmelte: »Entschuldigen Sie.«
Unsere Blicke trafen sich. Der Kellner war höchstens zwanzig, ein hübscher Junge mit einem lebenshungrigen Gesichtsausdruck, den er wohl berufsbedingt acht Stunden am Tag unterdrücken musste. Er hatte noch Babyspeck im Gesicht, wohnte bestimmt noch bei seiner Mama und holte abends sein knatterndes Moped raus, um die Mädels zu beeindrucken.
»Was ist?«, blaffte Mahler den Kellner an. »Sind Sie immer noch nicht fertig?«
Mit geducktem Kopf zog sich der junge Mann zurück. Mahler hatte so heftig reagiert, dass wenig später der Geschäftsführer des Restaurants an unserem Tisch stand und fragte, ob der ›Professore‹ Grund zur Beschwerde habe.
Ich sah Mahler an und setzte den Blick auf, den meine Freunde als ›Reaktorblick‹ zu bezeichnen pflegen: ein Atomkraftwerk kurz vor der Explosion.
Der Professor versicherte rasch, dass alles in bester Ordnung sei. Der junge Kellner brachte die Pasta. Schweigend begannen wir zu essen. Das Chili war höllenscharf und verbrannte mir die Gaumenhaut. Ich schnappte nach Luft.
»Ist wohl nicht unser Abend heute?«, fragte Mahler.
»Wissen Sie was?«, sagte ich. »Ich habe keine Lust mehr auf dieses vornehme Getue hier. Diese speisenden Scheintoten, dieses leise Gejammer der Musik, dies falsche mediterrane Ambiente mit den Gips-Amors, diese devoten Schranzen, die überhöhten Preise ... Lassen Sie uns woanders hingehen!«
Völlig verdattert fragte er: »Und wohin?«
»In die nächste Kneipe!«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Warum sollte ich scherzen? Ich muss hier weg.«
»Kann es sein, dass Sie etwas exaltiert sind?«
Ich widersprach ihm nicht.
Die nächsten zwei Stunden verbrachten wir in einer
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